Straight und ohne falsche Rücksichten

Erfrischend mythenfeindliche Inszenierung: In Kombination mit einem existenziellen Politikbegriff führen für die Schweizer Regisseurin Barbara Weber in „RAF – Unplugged“ die Popaspekte, das Posing der RAFler zur Katastrophe

Freitagabend. Im Fernsehen lag der Papst im Sterben. Auf allen Kanälen wurde berichtet, was das Zeug hielt. So hatte man das Gefühl, etwas ganz Wichtiges zu verpassen, als man sich vom französischen Fernsehen losriss und zum HAU 2 fuhr, wo es das Theaterstück „RAF – Unplugged“ gab.

Bei den „Unplugged“-Abenden von Barbara Weber geht es darum, monumentale Stoffe mit einfachen Mitteln des Theaters ganz schnell umzusetzen. Zuvor hatte die in der freien Szene arbeitende Schweizer Regisseurin schon Mutter Teresa und Britney Spears inszeniert. Nun also die RAF von ’67 bis ’72. Schnell recherchiert, zehn Tage probiert – und los.

Die Sache fand auch nicht auf der großen Bühne statt, sondern in dem länglichen Raum davor, wo sechzig Zuschauer in zwei Reihen saßen. Als Requisiten: Pappschilder, auf denen u. a. in Schreibschrift stand: „Sagt euren Kindern, was ihr gelernt habt: Waffen sind kein Spielzeug“, Fotokopien von Steckbriefen und Medienberichte über die RAF, der berühmte Kinderwagen mit Palästinensertuch, die Schreibmaschine von Ulrike Meinhof und allerlei Accessoires aus den frühen Siebzigern.

Zwei Frauen und ein Mann spielen verschiedene Rollen; vor allem Gudrun Ensslin, Ulrike Meinhof und Andreas Baader, aber auch Astrid Proll, Reiner Langhans, diverse sympathisierende StudentInnen. Verschiedene mögliche „Ur-Szenen des deutschen Terrorismus“ werden aneinandergereiht. Alles kommt schön comicmäßig daher, straight und ohne falsche Rücksichten. 2. Juni ’67, Kaufhausbrandstiftungen, Prozesse, „Paris – ein Fest fürs Leben“, Sartres Telefon ist leider immer besetzt. Gudrun Ensslin befreit ihre Sexualität mit Baader, dem echten Mann, den auch vier LSD-Trips nicht umhauen, und bestellt bei ihrem Kindsvater Bernward Vesper eine schöne rote Lederjacke für den Prozess. Baader hat nie was geschrieben, aber alles im Kopf und will immer Action. Weil’s in Frankreich keinen Filterkaffee gibt, fühlt er sich sensuell depraviert. Verkopfte Alpha-Intellektuelle leiden darunter, dass sie die Welt schreibend nicht verändern können, sehnen sich nach naturwüchsigen Alpha-Männern und steigern sich zugefixt in was rein. Mit der echten Knarre echte Leute totschießen; Mensch oder Schwein sein. Funktionsträger sind keine Menschen, Polizisten sind Schweine und haben kein Lebensrecht. Das „Pigs must die“ kam aus Amerika. Im Knast tragen sie Schilder, auf denen steht „Knast“. Am vernünftigsten wirkt noch Rainer Langhans – von einer Frau gespielt – wenn er die Psychokarte zieht. Das linksradikale Umfeld ärgert sich, weil die Polizisten bei ihren Großfahndungen ihre Haschplatten finden. Viele Exterroristen haben Bücher über ihre große Zeit geschrieben und signieren auch gern.

Klasse ist die Umkehrung der alten linksradikalen Sichtweise, derzufolge die Popaspekte, das Posing der RAFler besonders zu verurteilen waren, während ihre Politik der Umstände wegen entschuldbar war, ein tragisches Verhängnis sozusagen, über das nur die urteilen dürften, die diese Zeit miterlebt hatten. In „RAF –Unplugged“ kommt das Uneigentliche, der kulturlinke popmäßige Narzismus, das Posing mit Sonnenbrillen, die Liebe zu schnellen Autos, das Drogen-, Sex- und Pornoding sehr attraktiv daher und wird erst in Kombination mit einem existenziellen Politikbegriff zur Katastrophe.

Dazu gibt’s im Hintergrund ein schnell komponiertes Kitschlied à la Ton, Steine, Scherben, in dem es heißt: „die große Zeit war viel zu weit / für unsre Träume zu wenig Zeit“. Was einen als Kulturlinken zunächst automatisch ein bisschen ärgert an diesem Theater, – dass das Umfeld, die Gesellschaft, in der die RAF entstand, kaum vorkommt, genau das ist, was gut ist.

Wenn’s sonst um die RAF geht, wird ja erst mal jahrelang recherchiert, um den RAFlern in ihrem historischen Umfeld gerecht zu werden; Romane und Biografien kommen meist so verständnisheischend, zerquält oder beleidigt vatermörderisch daher. Als Schweizerin muss sich Barbara Weber nicht dran abarbeiten. Das macht ihre Inszenierung sehr erfrischend mythenfeindlich. DETLEF KUHLBRODT

1., 2., 3., 5., 6. und 7. April um 22.30 Uhr im Foyer HAU 2