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Archiv-Artikel

Die Zeit heilt alle Wunder

Heute erscheint das meist erwartete Album dieses Jahres: „Von hier an blind“. Damit erfüllen „Wir sind Helden“ alle Erwartungen – gute wie schlechte. Enttäuscht wird nur, wer auf ihr Versagen hoffte

VON ARNO FRANK

Bei RTL haben sie schon mal nachgezählt. Im Vorfeld der „Echo“-Verleihung war das, als die TV-Moderatorin Frauke Ludowig mit Blick auf den jungen deutschsprachigen Rock von Newcomern wie Juli oder Silbermond behauptete, das sei „sozusagen so was wie die Zweite Neue Deutsche Welle“. Als wäre deutscher HipHop oder die Hamburger Schule nie passiert.

Jene Gruppe aber, die 2004 das Wunder konsumierbarer Popmusik „Made in Germany“ und „Made in German“ im Alleingang losgetreten hatte, wurde von den televisionären Verwaltern des Massengeschmacks nurmehr am Rande erwähnt. Als hätten sie’s geahnt, schickten „Wir sind Helden“ ihrem heute erscheinenden Album eine programmatische Single voraus: „Wir sind gekommen um zu bleiben, wie der perfekte Fleck“. Es ist nicht der einzige Song auf „Von hier an blind“, der die hysterischen Erwartungen an die Band antizipiert, reflektiert und von dem festen Willen erzählt, unbeirrt weiterzumachen.

Ihr Debüt, „Die Reklamation“, kam aus dem toten Winkel der professionellen Marktstrategen. Mit flotten Melodien, koketter Verweigerung und überraschend gegenständlicher Sprachmalerei erschlossen sich die Helden im Alleingang ein Publikum, das niemand auf der Rechnung gehabt hatte: Intelligente junge Menschen beiderlei Geschlechts auf der Suche nach einem zeitgemäßen Ausdruck eigener Befindlichkeiten jenseits hiphoppender Prahlerei oder tocotronischer Gesellschaftsskepsis.

Denn über die Welt lassen sich differenziertere Urteile fällen als „Alles ist scheiße“ (die Tocotronic-Methode), „Alles ist toll“ (die Küblböck-Methode) oder „Alle sind scheiße, nur ich bin toll“ (die Sido-Variante). Pop glich einem ausgetrockneten Flussbett. Die Helden füllten dieses Flussbett, belebten diese Ödnis, stillten die Sehnsucht nach Substanz und Authentizität mit dem klaren Wasser echter Inhalte – vorgetragen von einer Sängerin, die sich über ihre lyrische Frische hinaus als integres weibliches Rollenmodell jenseits ordinärer Massenware à la Jeanette Biedermann oder Sarah Connor anbot. Kolleginnen übrigens, denen Judith Holofernes diesmal einen fast schon mütterlichen Rat gibt: „Zieh dir was an!“

Diese Landschaft hat sich grundlegend verändert. Was einzig war, ist inflationär geworden. In den Charts wimmelt es inzwischen von „female fronted bands“ mit verwuschelten Frisuren und erträglichen deutschen Texten. Dafür werden die Helden von der ernsthaften Popkritik mit ihren distinktionshungrigen Diskursen nun erwürgt, nicht gewürdigt. Deshalb werden wir demnächst die Klage anschwellen hören, dass die Helden keine dezidierte Konsumkritik mehr üben; dass sie gitarrenlastiger sind und doch noch klingen wie immer; dass sie Preise annehmen, anstatt sie abzulehnen; dass das Cover der Platte stilistisch ausgerechnet an die bürgerlich bzw. gymnasialen „Tim und Struppi“-Comics angelehnt ist, kurzum: dass es die Band überhaupt noch gibt.

Wer hierzulande allzu hoch fliegt, der gerät eben rasch ins Flakfeuer der Feuilletons. Das Einzige, was der Band wirklich vorgeworfen werden kann, ist die Frechheit ihrer Existenz – und die Renitenz, mit der sie ihre naturgemäß leicht bemühten Manöver fliegt, um den Geschossen zu entgehen. Ihren eigentlichen Kurs aber hat die Band nicht geändert und wird sich dazu auch nicht nötigen lassen. Augen zu und durch oder anders gesagt: „Von hier an blind“.