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Der wandelnde Einspruch

Dieter Pfaff hat sich mit Quotenhits wie der Krimireihe „Sperling“ zu einem der einflussreichsten Fernsehschauspieler entwickelt. Nun startet seine neue Anwaltsserie „Der Dicke“ (ARD, 20.15 Uhr)

VON CHRISTIAN BUSS

Dieter Pfaff war zwar nicht im Bild zu sehen, aber an seinem Einspruch kam man kaum vorbei. Letzten Freitag saß er in der NDR-Talkshow. Ein schwuler Regisseur stellte da die Behauptung auf, dass bei Kindesmissbrauch häufig das Opfer nicht unbeteiligt sei. Der Interviewer, wie das bei solchen Plauderstündchen eben ist, hakte nicht nach. Aus dem Off grollte es. Dann war Pfaff zu sehen, der präzise und entrüstet über die Fehlinterpretation kindlicher Sexualität Auskunft gab. In diesem Moment wirkte der Schauspieler mal wieder, als sei er identisch mit seinen Fernsehfiguren. Als würde aus ihm der Seelsorger, Psychoanalytiker und Anwalt in Personalunion sprechen.

Irgendwann wollte Pfaff nicht mehr der lustige Dicke sein. Er ließ sich, da war er schon Ende 40, auf eigenes Risiko unterschiedliche Rollen auf den Leib schreiben. Den Pater „Bruder Esel“ ebenso wie den schusswaffenfreien Ermittler „Sperling“, später dann den Psychotherapeuten „Bloch“ und jetzt eben den Anwalt Gregor „Der Dicke“ Ehrenberg. Der Jurist in der heute startenden ARD-Serie ist rund, macht aber selten Witze. Pfaff bringt hier mit seiner Rolle auf den Punkt, was er in Variationen in allen jüngeren Serien verkörpert: einen wandelnden Einspruch. So viel gerechte Erregung könnte nerven, gelänge es dem Schauspieler nicht immer wieder, Widersprüche und Abgründe in seinen Figuren offen zu legen. Überhaupt scheint der 57-Jährige seine Charaktere eher mit Blick auf das andere Geschlecht zu entwickeln; die meisten seiner Helden ziehen jedenfalls die Frauen an wie der Pflaumenkuchen die Wespen.

Besonders deutlich wird das bei „Bloch“. Der Therapeut wird von Exfrau, Geliebter und Tochter umsorgt; an seiner breiten weichen Brust ist stets Platz für neue Patientinnen. Die sind überwiegend jung, hübsch und talentiert. In einer der letzten Episoden wurde der Seelendetektiv von der Tochter gefragt, ob er einem Mann mit dem gleichen Eifer helfen würde. Wohl nicht, gibt er zu. Das ist das Interessante an Bloch: dass seine Koketterie und Konditionierung ebenso abgehandelt werden wie der jeweilige Fall. Der Therapeut liegt hier selbst auf der Couch, das nimmt mancher außergewöhnlichen seelischen Zerrüttung ihre Monstrosität. So kommt der Reihe durchaus eine aufklärerische Funktion zu.

Die hält sich bei „Der Dicke“ eher in Grenzen. Die ARD-Serie ist Familienfernsehen und hätte sich ohne Pfaffs Mitwirken wohl erst mal im Vorabendprogramm beweisen müssen, bevor sie auf den Primetime-Sendeplatz gehoben worden wäre. Der Wirklichkeitsgehalt von „Der Dicke“ ist überschaubar. Es geht um einen Anwalt, der genug von seinen reichen Klienten hat und nun im multikulturellen Herzen Hamburgs für die kleinen Leute da sein will. Angeblich soll die Handlung in Hamburg-Altona spielen; gedreht wurde aber auf St. Pauli, wo es auch viele türkische Gemüsehändler gibt, man aber sicherheitshalber für den Dreh einen Grünzeugladen mit Plastikfrüchten nachbaute. Das sah wohl einfach schöner aus.

„Der Dicke“ ist eben ein Märchen – durch das Pfaff allerdings grantelnd und auch selbstzweifelnd wie durch seine anderen Filme stapft. Er wirkt wie eine in ihrer Fülle verletzlich anmutende Version des öffentlich-rechtlichen Anwalts „Liebling Kreuzberg“. Tatsächlich hat Pfaff von seiner Wirkungsweise eine Menge mit „Liebling“-Darsteller Manfred Krug gemein. Seine Position und Gestaltungsmöglichkeiten entsprechen inzwischen durchaus der von Krug in den Achtzigern – seine gelegentlichen Attacken gegen die Einfallslosigkeit des Fernsehens auch. Pfaff soll sich gerne Volksschauspieler nennen. Hoffentlich weiß er, dass es vom Volksschauspieler zum Fernsehdenkmal oft nur ein kurzer Weg ist. Es kann passieren, dass man irgendwann nur noch verwittert, verbittert und selbstgerecht im Bild rumsteht. Gut, wenn man das eigene Ego da überzeugen kann abzutreten, so wie das Krug getan hat.

Pfaff setzt offensichtlich erst mal die Strategie der Veränderung gegen das fernsehbetriebsübliche Mürbegemachtwerden. Bald will er einen Rock-’n’-Roll-Film drehen. Oje. Pfaff hat zurzeit eine Macht wie nur wenige Schauspieler, trotzdem sollte er das mit dem Rock ’n’ Roll lassen. Schon weil er, TV-Filme wie „Verrückt ist auch normal“ beweisen es, kein Rock ’n’ Roller ist. Schöner klingt es, wenn der Schauspieler im Vorspann zu „Der Dicke“ die Erkennungsmelodie der Serie pfeift und knurrt. Er tut das so flott und doch so sanft, dass man am liebsten alle Familienrechtsstreitfälle aus dem Bekanntenkreis in seinen Händen wissen möchte.

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