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Archiv-Artikel

Deutschland behält die rote Laterne

Ist der Aufschwung schon vorbei? Die EU-Kommission jedenfalls senkt ihre Wachstumsprognose auf 1,6 Prozent, wobei die Bundesrepublik nur auf die Hälfte kommen soll. Für Spitzenreiter Irland sagt sie dagegen ein Plus von 4,9 Prozent voraus

AUS BRÜSSEL DANIELA WEINGÄRTNER

In schwarzem Einband wurde gestern in Brüssel die Frühjahrsprognose vorgelegt. Auch der Inhalt vermittelt nur verhaltenen Optimismus. In den zwölf Euroländern rechnet die EU-Kommission nur noch mit einem durchschnittlichen Wachstum von 1,6 Prozent. In der Herbstprognose hatte sie noch 2,0 Prozent vorausgesagt.

Zahlreiche Faktoren könnten die Schätzung in den nächsten Monaten nach oben oder unten verändern, warnte Kommissar Joaquin Almunia. Verantwortlich für die schlechtere Lage ist der weiterhin steigende Ölpreis. In der Ende Oktober 2004 vorgelegten Herbstprognose war die Kommission noch von einem Durchschnittspreis von 45,10 Dollar pro Barrel für 2005 ausgegangen. Sie legte dabei einen Wechselkurs von 1,24 Dollar für den Euro zugrunde und kam so zu einem Barrel-Preis von 36,4 Euro. Im jetzt vorgelegten Gutachten rechnet die Kommission für den gleichen Zeitraum mit 50,90 Dollar pro Barrel. Da sie einen günstigeren Wechselkurs von 1,32 Dollar für den Euro ansetzt, steigt der Preis nur auf durchschnittlich 38,50 Euro pro Fass. Würde man den Wechselkurs aus dem Herbstgutachten übernehmen, käme man auf einen Barrel-Preis von 41 Euro.

Das Beispiel zeigt, wie kleine Änderungen der Rahmenvoraussetzungen die Tendenz der ganzen Prognose beeinflussen können. Neben Ölpreis und Dollarkurs zählte Almunia gestern weitere derartige Faktoren auf: die Entwicklung des Weltwachstums, die von der Kommission mit 4,2 Prozent angenommen wird, und die Entwicklung von Sparrate und privater Nachfrage als Folge einer erfolgreichen oder gescheiterten Arbeitsmarktreform.

Dieses Thema betrifft vor allem Deutschland, das in der Kommissionsprognose das Schlusslicht unter den Eurostaaten bildet. Im Herbstgutachten war das deutsche Wirtschaftswachstum für 2005 noch auf 1,5 Prozent geschätzt worden, jetzt werden nur noch 0,8 Prozent erwartet. Im Vergleich dazu stehen die Spitzenreiter Irland mit 4,9 Prozent Wachstum und Finnland mit 3,3 Prozent sorgenfrei da.

Vergleicht man im Gutachten die Rahmendaten für Deutschland und Finnland, so zeigt sich, dass die makroökonomische Situation durchaus vergleichbar ist: Investitionsrate, Exportanteil und private Nachfrage am Bruttoinlandsprodukt liegen in beiden Ländern nicht weit auseinander. Während aber in Finnland die private Nachfrage nach einem Einbruch in den Jahren 2001 und 2002 wieder deutlich anstieg, war sie in Deutschland rückläufig. Wenn die Arbeitsmarktreformen keine positive Wirkung zeigen und das Konsumentenvertrauen nicht steigt, wird Deutschland auch im kommenden Jahr nicht aus der Talsohle herauskommen und weiterhin Schwierigkeiten haben, die Neuverschuldung auf unter 3 Prozent zu drücken.

Führende Wirtschaftsforschungsinstitute haben empfohlen, die Arbeitslosenversicherung um 1 Prozent zu senken und die Mehrwertsteuer zu erhöhen. So würden die so genannten Lohnnebenkosten gesenkt, die private Nachfrage angekurbelt und Teile der Kosten für die Finanzierung des Sozialstaates auf Importe verlagert.

David Milleker, Wirtschaftsexperte der Allianzgruppe in Frankfurt, glaubt, dass nur Lohnsteigerungen helfen können. „Wir steigern unsere Wettbewerbsfähigkeit Jahr für Jahr auf Kosten der Binnennachfrage“, sagte er der taz. In einem kleinen Land mit hohem Exportanteil wie Holland könne eine solche Politik Wirtschaftswachstum schaffen. In Deutschland mit seinem hohen privaten Konsumanteil am Bruttoinlandsprodukt sei diese Politik falsch.