Spielen mit der Maus

ZERFLEISCHEN In der Causa Wulff spielt die „Bild“-Zeitung eine zentrale Rolle, ohne sie selbst einzunehmen. Das Blatt sah die Zukunft schon länger voraus

VON STEFFEN GRIMBERG

Es ist eine barbarische, aber im Tierreich nicht ganz unbekannte Gewohnheit, dass Jäger mit ihrer Beute noch etwas spielen und auch niedere Mitglieder des Rudels ein bisschen am Spaß teilhaben lassen, bevor zugebissen wird. Auf den Bundespräsidenten und die Medien übertragen, sieht dieses Szenario so aus: Während der nicht überall geschätzte Boulevard-Großkater Bild gnädig zuwartete, durften zunächst die niedlich-seriösen Kätzchen Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung und Süddeutsche die Maus im obersten Amt des Staates jagen, bis der Kater selbst noch mal fauchte.

Das füllte an diesem Dienstag dann einen Gutteil der für die große Politik reservierten Seite 2 der Bild-Zeitung. Die schon bekannten Einzelheiten der Wulff’schen Drohanrufe beim Bild-Chefredakteur Kai Diekmann wurden noch mal „in eigener Sache“ geschildert. Mehr brauchte es auch nicht, weshalb sich das Blatt klug jedes Kommentars enthielt. Bei der Affäre um Christian Wulff reicht es, auf die Kräfte der Selbstversenkung zu setzen und klug über Bande zu spielen. Dass hatte Bild de facto sogar öffentlich angekündigt, in einem Kommentar von Nikolaus Blome: Politiker stürzten „selten nur wegen einer Affäre an sich. In der Regel stürzen sie darüber, wie sie mit der Affäre umgehen“, schrieb Blome, Mitglied der Bild-Chefredaktion, am 14. 12. Noch liege der Ausgang „weitgehend beim Bundespräsidenten selbst. Aber – auch das lehrt die Erfahrung – nicht mehr lange.“

Darüber zu spekulieren, wer nun wem wann was erzählte, ist müßig: Die Anrufe Wulffs waren das Thema in den Bild-Redaktionskonferenzen dieser Adventstage. Die Schar der Mitwisser ist so groß, dass man eher fragen könnte, warum es so lange gedauert hat, bis etwas durchsickerte. Erst am 2. Januar brach sich die Empörung richtig Bahn.

So ganz wollte man bei Springer da das Heft dann aber doch nicht aus der Hand geben. Und so gab es noch vor der offiziellen Bestätigung der Bild-Chefredaktion am Montagnachmittag aus dem sonst stets gut zugeknöpften Verlag schon sachdienliche, wenn auch vertrauliche Hinweise. Dass nun auch die Welt nachlegt und über Wulffs Versuch berichtet, bereits im Juni 2011 ein Porträt inklusive einer vom frisch gewählten Bundespräsidenten lieber vergessen gesehenen Halbschwester zu verhindern, passt ins Bild. Doch auch da hatte man sich wieder vertragen. Der Kontakt zum Haus Springer war schließlich stets ein besonderer. Schon bei seinem allerersten Sommerfest ein Jahr zuvor trat, so berichten Teilnehmer, der eben vereidigte Wulff umringt von der fast kompletten Bild-Führung aus Schloss Bellevue zu den Feiernden in den Garten.

Und auch das zeigt: Der Christian Wulff hat – pardon und bei allem Respekt vor seinem Amt – eine politische Vollmeise. Für manchen Landesfürsten mag es lohnend und notwendig erscheinen, mit den vermeintlich Medienmächtigen auf inniges Verhältnis zu machen.

Das eher symbolische, aber deshalb gerade auf Unabhängigkeit und Integrität angewiesene Amt des Bundespräsidenten hat das nicht nötig. Üblicherweise strahlt diese Erkenntnis auch auf die Amtsinhaber aus. Doch hier erweist sich Christian Wulff als fatale Ausnahme – für ihn, nicht für das Amt. Das wird diese Peinlichkeiten locker verwinden.

Christian Wulff, der oberste Mann des Staates, hat dagegen nicht nur das Konzept von Aufgabe und Verantwortung der freien Presse falsch verstanden, das er in Sonntagsreden im In- und Ausland gern bekräftigt. Er hat sich nicht nur dabei erwischen lassen, wie er es für sich selbst außer Kraft zu setzen versucht. Er hat sich mit seiner zornigen Nachricht für Kai Diekmann auch noch kleiner gemacht als nötig. Nils Minkmar hat es in der FAZ zum Niederknien auf den Punkt gebracht: „Der Bundespräsident redet auf Augenhöhe mit dieser Mailbox.“ Damit sitzt die Maus in der Falle.