Frauen, denkt ökonomisch!

VON NANCY FRASER

Feministinnen auf der ganzen Welt haben sich in den letzten Jahrzehnten an den USA orientiert, in der Theorie ebenso wie in der Praxis. Heute aber befindet sich der US-Feminismus in einer Sackgasse, die zentralen Fragen des Geschlechterkampfes haben sich nach Europa verlagert.

Die Geschichte des Feminismus wird meist als eine des Fortschritts entworfen: Eine separatistische Bewegung in den Siebzigerjahren – dominiert von weißen, heterosexuellen Mittelschichtfrauen – entwickelte sich hin zu einem eher integrativen Konzept in den Neunzigern, das die Belange von Lesben, von farbigen oder armen Frauen und Angehörigen der ArbeiterInnenschicht einschließt. Diese Geschichtsschreibung versäumt es aber, die Entwicklungen innerhalb des Feminismus zu der breiteren historischen Entwicklung in Beziehung zu setzen.

Eine solche alternative Geschichte des Feminismus der Nachkriegszeit kann man in drei Phasen unterteilen, wobei sich diese nicht immer scharf voneinander abgrenzen lassen. Die erste Phase stand in einem engen Zusammenhang mit den neuen sozialen Bewegungen, in der zweiten Phase konzentrierte sich der Feminismus auf das Thema der Identitätspolitik, während er sich in der dritten schließlich auf eine transnationale Politik ausweitete und dort insbesondere in den Räumen, die man mit „Europa“ assoziiert.

Nach dem Zweiten Weltkrieg genossen die avancierten kapitalistischen Staaten Westeuropas und Nordamerikas eine beispiellose Konjunkturwelle. Mit einer keynesianischen Wirtschaftspolitik gelang es, die nationale wirtschaftliche Entwicklung zu steuern und nahezu Vollbeschäftigung für Männer zu sichern. Die einst widerständigen Gewerkschaften wurden an dem Prozess beteiligt, der Wohlfahrtsstaat wurde ausgebaut und eine klassenübergreifende Solidarität gesetzlich verankert. Das Resultat war ein nordatlantischer Gürtel von Massenkonsumgesellschaften, denen es offenbar gelungen war, soziale Konflikte im Zaum zu halten.

 Der Versuch, das Prinzip des Wohlfahrtsstaates von der Klasse auf das Geschlecht auszudehnen, ist nach 1989 gescheitert

In den Sechzigerjahren jedoch war es vorbei mit der Ruhe dieses scheinbar goldenen Zeitalters. Einer internationalen Explosion gleich begann eine radikale Jugend, die Straße zu erobern, zunächst um gegen die Rassentrennung und den Vietnamkrieg zu protestieren. Bald aber gerieten auch die Kernbegriffe der kapitalistischen Moderne unter Druck: sexuelle Unterdrückung, Sexismus, Heteronormativität; Materialismus, Firmenkultur und Arbeitsethik, Konsum, Bürokratie und soziale Kontrolle. Männer und Frauen durchbrachen die politische Routine der vorangegangenen Ära, neue soziale AkteurInnen formten neue soziale Bewegungen. Gemeinsam mit GenossInnen aus anderen Bewegungen entwickelten die Feministinnen ein neue politische Kultur. Sie problematisierten den Paternalismus des Wohlfahrtssystems und die bürgerliche Familie und entlarvten so den tiefen Androzentrismus der kapitalistischen Gesellschaft. Indem sie „das Private“ politisierten, erweiterten sie die Grenzen der Kontroversen über die sozioökonomische Neuverteilung hinaus auf die Hausarbeit, Sexualität und die Reproduktion.

So radikal, wie er war, stand der Feminismus dieser ersten Phase in einem ambivalenten Verhältnis zur Sozialdemokratie: Einerseits wies der Feminismus die Staatsgläubigkeit der Sozialdemokratie zurück, setzte aber umgekehrt deren zentrale Züge als Basis für radikalere Entwürfe voraus. Sein Anliegen war, den Wohlfahrtsstaat in eine Kraft zu verwandeln, die die männliche Dominanz beseitigte.

Doch der politische Umbruch von 1989 unterlief dieses politische Projekt: Eine Dekade konservativer Herrschaft in großen Teilen Westeuropas und Nordamerikas, die vom Fall des Kommunismus im Osten gekrönt wurde, belebte die totgeglaubte Ideologien vom freien Markt. Auferstanden aus der historischen Mülltonne, lancierte der Neoliberalismus eine massive Attacke auf die Idee der egalitären Umverteilung. Gestärkt durch eine sich beschleunigende Globalisierung, zog der Neoliberalismus die Legitimität und Lebensfähigkeit einer keynesianischen Wirtschaftspolitik in Zweifel. Feministinnen, die das Prinzip des Wohlfahrtsstaats von der Klasse auf das Geschlecht hatten ausdehnen wollen, wurde der Boden unter den Füßen weggezogen – sie mussten eine neue Sprache finden, ihre politischen Forderungen zu formulieren.

■ Statt um soziale Gleichheit geht es dem Feminismus nun in erster Linie um kulturelle Veränderungen

Hier betritt die „Politik der Anerkennung“ (politics of recognition) die Bühne. Ausgehend davon, dass eine „Differenz anerkannt“ werden müsse, ersetzte der Begriff der „Anerkennung“ zunehmend den der Gleichheit. Darüber hinaus fing er den speziellen Charakter postsozialistischer Auseinandersetzungen ein, die oft als Identitätspolitik in Erscheinung traten. Egal ob es um Gewalt gegen Frauen ging oder Ungleichheiten in der politischen Repräsentation, bezogen sich Feministinnen auf die Grammatik der „Anerkennung“. Unfähig, zielstrebig gegen die Ungerechtigkeiten der politischen Ökonomie vorzugehen, schoss man sich auf Schäden ein, die androzentrische Strukturen in Kulturen und Hierarchien verursacht hatten. Das Ergebnis war eine grundlegende Verlagerung feministischer Fantasie und ihrer Ziele: Während vorherige Generationen ein erweitertes Modell sozialer Gleichheit verfolgten, ging es jetzt in erster Linie um kulturelle Veränderungen.

■ Der Feminismus hat wie die sozialen Bewegungen zugelassen, dass sich ökonomische Hierarchien verschärfen

Die Resultate dieser Konzentration auf das Kulturelle waren gemischt: Einerseits richtete die Orientierung an der „Politik der Anerkennung“ die Aufmerksamkeit auf Formen männlicher Dominanz, auf der die Statusordnung der kapitalistischen Gesellschaft gründet. Andererseits nahm dieser Kampf die feministische Imagination so gefangen, dass er das Problem der sozioökonomischen Ungleichheit weitgehend aus den Augen verlor. Das war sicherlich nicht beabsichtigt. Offenbar nahmen die BefürworterInnen eines „Cultural Turn“ an, dass sich eine feministische Identitäts- und Differenzpolitik sozusagen automatisch mit dem Kampf für soziale Gerechtigkeit verbinden würde. Aber dieser Glaube fiel dem Zeitgeist zum Opfer.

Das Timing hätte nicht schlechter sein können. Während der Neoliberalismus sein spektakuläres Comeback feierte, beschäftigte sich der Feminismus mit Debatten über „Differenz“: Unterordnung wurde als kulturelles Problem ausgelegt und von der politischen Ökonomie getrennt betrachtet. Hypnotisiert von der Anerkennungspolitik, schwenkte die feministische Theorie genau in dem Augenblick in die kulturalistische Einbahnstraße ein, als die Umstände eine doppelte Aufmerksamkeit für die Verteilungspolitik erfordert hätten.

Es geht bei dieser Analyse nicht allein um den Feminismus. Eine Tendenz hin zu einer „Politik der Anerkennung“ ist in nahezu jeder aktuellen sozialen Bewegung, nicht nur in der „Ersten Welt“, zu beobachten. In Westeuropa wich die sozialdemokratische Vision von gerechter Güterverteilung verschiedenen Versionen des so genannten Dritten Weges: Während man sich die neoliberale Haltung zur „Flexibilisierung“ des Arbeitsmarkts weitgehend aneignete, versuchte man gleichwohl, ein progressives politisches Profil zu behalten. Deshalb erließ man Antidiskriminierungsgesetze, die Statushierarchien überwinden sollten. Tatsächlich aber verschärften sich die ökonomischen Hierarchien zusehends.

Analoge Entwicklungen gab es auch in der ehemaligen „Zweiten Welt“. Der Kommunismus hatte Fragen der Anerkennung als Subtexte „realer“ ökonomischer Probleme behandelt und damit weitgehend negiert. Im Postkommunismus wurde dem ökonomischen Egalitarismus die Legitimität entzogen; das provozierte Auseinandersetzungen um die Anerkennung insbesondere unterschiedlicher Nationalitäten und Religionen. Auch in der so genannten „Dritten Welt“ zeitigte der politische Umbruch von 1989 tief gehende Folgen: Mit dem Ende des bipolaren Wettbewerbs zwischen der Sowjetunion und dem Westen nahmen die Hilfszahlungen in die Peripherie drastisch ab. Gleichzeitig ermutigte die Demontage der Bretton-Woods-Institutionen (Internationaler Währungsfonds, Weltbank) unter Führung der USA eine neue neoliberale Politik der „strukturellen Anpassungen“, die den postkolonialen „Entwicklungsstaat“ bedrohte. Der Handlungsspielraum für egalitäre Umverteilungsprojekte im Süden verengte sich stark. Die Reaktion war eine enorme Zunahme der Identitätspolitik in den Postkolonien.

■ Die neoliberalen Ordnung bedroht die Familien. Der Feminismus hat nicht geschafft, das zu vermitteln

So der Feminismus diese historischen Entwicklungen nicht beachtete und verstand, hatte er Schwierigkeiten, die nötigen Ressourcen zu entwickeln. Insbesondere in den USA wurden Feministinnen von der unheiligen Allianz zwischen Freihändlern und fundamentalistischen Christen völlig überrascht. Die entscheidenden Themen der Präsidentschaftswahl 2004 waren der „Krieg gegen den Terrorismus“ und die so genannten Familienwerte, insbesondere ging es gegen Abtreibung und Homoehen. Nicht zuletzt eine strategische Gendermanipulation verhalf Bush zum Wahlsieg. Im „Krieg gegen den Terrorismus“ zum Beispiel präsentierten die Republikaner George W. Bush als entschiedenen „Commander in Chief“, während sein Gegenspieler John Kerry als „girlie man“ (um Arnold Schwarzeneggers denkwürdige Formulierung zu benutzen) inszeniert wurde.

Diese Rhetorik erwies sich als außerordentlich wirkungsvoll – bei Frauen und Männern. Und sie neutralisierte den schwachen Punkt der Bush-Kampagne, auf den alle sich verständigen konnten: seine regressive Umverteilungspolitik, die viele AmerikanerInnen finanziell in Not brachte. Die Bush-Regierung schaffte beispielsweise die Erbschaftsteuer ab, senkte die Steuertarife auf Dividenden und Kapitalerträge und verpflichtete so die ArbeiterInnenklasse, einen wesentlich größeren Anteil des nationalen Budgets zu finanzieren.

Gleichzeitig reduzierte man die Sozialhilfe und den KonsumentInnenschutz, man akzeptierte extrem niedrige Löhne und unsichere Arbeit für die ärmeren Schichten. Für sie ist es selten möglich, eine Familie von einem Gehalt zu ernähren, manchmal sogar kaum von zweien. Die Lohnarbeit von Frauen wird damit zu einer unverzichtbaren Säule der neoliberalen ökonomischen Ordnung. Ähnliches gilt für die Mehrfachbeschäftigung („moonlighting“): Immer mehr Menschen sind gezwungen, mehr als einen Job zu verrichten, um über die Runden zu kommen.

Das sind die Fakten, die das Familienleben in den USA bedrohen – und nicht etwa Abtreibungen oder Ehen zwischen Homosexuellen. Der Feminismus mag das vielleicht begriffen haben, aber er hat es nicht geschafft, die zu überzeugen, die unter dieser Politik leiden. Stattdessen fühlten sich viele von ihnen von den evangelikalen Kirchen angezogen. Und es war die Regierung Bush, die mit einer Anerkennungspolitik für diese religiöse Rechte ihre Umverteilungspolitik verbergen konnte, während der Feminismus die politische Ökonomie völlig vernachlässigte. So profitierte die Rechte vom Cultural Turn des Feminismus und anderer sozialer Bewegungen.

Warum ließen sich die US-BürgerInnen von diesem offensichtlichen Taschenspielertrick täuschen? Auf den ersten Blick scheint die Situation der evangelikal-christlichen Frauen widersprüchlich. Einerseits schließen sie sich einer Ideologie traditioneller Häuslichkeit an, andererseits leben diese Frauen kein patriarchales Leben, die meisten von ihnen sind auf dem Arbeitsmarkt aktiv und auch im Familienleben gut gestellt. Offenbar antwortet der Evangelikalismus auf eine neue Art von „Unsicherheitsgesellschaft“, die eine sozialdemokratische „Wohlfahrtsgesellschaft“ abgelöst hat. Diese neue Gesellschaft institutionalisiert eine zunehmende Unsicherheit in den Lebensbedingungen der meisten Menschen. Sie baut Sozialleistungen ab, während sie gleichzeitig prekäre Formen der Lohnarbeit wie Subunternehmertum und Zeitarbeit generiert, die nicht einmal von den Gewerkschaften kontrolliert werden.

■ Die dritte Phase des Feminismus darf die politische Ökonomie nicht mehr vernachlässigen

Nicht dass der Evangelikalismus den Menschen Sicherheit gäbe. Er vermittelt ihnen vielmehr einen Diskurs und eine Reihe Praktiken, anhand deren sie ihre Unsicherheit managen können. Man sagt ihnen: „Du bist ein Sünder, du wirst versagen, du könntest deinen Job verlieren, du trinkst vermutlich zu viel, dein Mann könnte dich verlassen, deine Kinder nehmen Drogen. Aber das ist okay. Gott liebt dich noch immer, und die Kirche akzeptiert dich.“

Ständig die Möglichkeit von Schwierigkeiten andeutend, nährt der Evangelikalismus Gefühle der Unsicherheit, während er gleichzeitig scheinbar einen Anleitung bietet, damit fertig zu werden. Vielleicht muss man auf Michel Foucault zurückgreifen, um zu verstehen, was hier vorgeht: Evangelikalismus ist eine Technik der Selbstsorge, die dem Neoliberalismus besonders entspricht, weil er ständig Unsicherheit produziert. Dieses Angebot nehmen viele Frauen aus den ArbeiterInnenschichten gerne an, denn es verleiht ihrem Leben einen Sinn.

Diese neoliberalen Techniken der Selbstsorge zu analysieren und zu bekämpfen ist eine der dringenden Aufgaben, die sich einem zeitgemäßen Feminismus stellen. Es gilt, die Beziehungen zwischen Verteilungs- und Anerkennungspolitik neu zu betrachten und in die feministische Politik einfließen zu lassen. Denn wir alle – nicht nur die US-BürgerInnen – leben in einer Zeit abnehmender Sicherheit. Für weniger integrierte Schichten, wie etwa ImmigrantInnen, verschlimmert sich der Druck, wenn sich zur schlechten oder fehlenden Umverteilung noch die fehlende Anerkennung gesellt. Und wenn dies auch das religiöse Bekenntnis betrifft, kann man leicht den säkularen Feminismus dafür zur Verantwortung ziehen.

Wenn wir heute eine dritte Phase des Feminismus beginnen, müssen wir diese Dimensionen der Politik unbedingt wieder integrieren. Eine solche Politik muss aber ein weiteres Element berücksichtigen: Der Neoliberalismus macht nicht vor Landesgrenzen Halt, sondern hat sich längst zu einer transnationalen Kraft entwickelt. Glücklicherweise passiert genau dies bereits in einer feministischen Politik, die sich in transnationalen Räumen bewegt. Sie versteht, dass Frauen durch transnationale Kräfte extrem gefährdet sind und dass sie die Ungleichheit der Geschlechter nicht im scheinbar gegebenen Rahmen moderner Territorialstaaten anfechten kann.

■ Der Feminismus muss seinen Aktionsrahmen erweitern

Angesichts der Erderwärmung, der Ausbreitung von Aids, des internationalen Terrorismus und des Unilateralismus der Supermächte glauben Feministinnen heute, dass die Chancen von Frauen, ein gutes Leben zu leben, von Prozessen innerhalb ebenso wie außerhalb territorialer Grenzen abhängen. Allerdings stellt der territorialstaatliche Rahmen, in dem traditionellerweise politische Forderungen gestellt werden können, ein Hindernis im politischen Kampf dar, denn er schirmt transnational agierende Konzerne und andere Mächte von Kritik und Kontrolle ab. Ebenfalls geschützt sind die Herrschaftsstrukturen der globalen Wirtschaft, die ausbeuterischen Handelsbedingungen. Die Architektur des zwischenstaatlichen Systems schützt die Abschottung des politischen Raums, den sie institutionalisiert, und schließt effektiv transnationale, demokratische Entscheidungsprozesse über Themen wie Gerechtigkeit zwischen den Geschlechtern aus.

Für einen effektiven transnationalen Feminismus, der die Forderungen nach einer gerechten Güterverteilung mit der Anerkennung verbindet, gilt es daher, zuerst den Aktionsrahmen zu erweitern. Auch das geschieht bereits: In Europa beispielsweise greifen Feministinnen die ökonomische Politik und die Strukturen der Europäischen Union an, während Feministinnen unter den WTO-GegnerInnen die Herrschaftsstrukturen der globalen Wirtschaft anfechten. Unter dem Slogan „Frauenrechte sind Menschenrechte“ verbinden Feministinnen auf der ganzen Welt Kämpfe gegen lokale patriarchale Praktiken mit Kampagnen zur Reformation des internationalen Rechts.

 Geschlechtergerechtigkeit hat drei Dimensionen: Umverteilung, Anerkennung und Repräsentation

In dieser dritten Phase des Feminismus geht es vor allem darum, Ungerechtigkeiten in der Güterverteilung und die „Politik der Anerkennung“ zu verbinden und auf eine transnationale Ebene auszuweiten. Denn im territorialstaatlichen Rahmen können transnationale Ursachen für Ungerechtigkeit kaum bekämpft werden. Der transnationale Feminismus muss deshalb immer auch dieser „falschen Rahmensetzung“ (misframing) entgegenwirken. Diese „falsche Rahmensetzung“ geschieht dort, wo ein territorialstaatlicher Rahmen den transnationalen Ursachen für Ungerechtigkeiten aufgezwungen wird. Tatsächlich aber manipuliert man so den politischen Raum auf Kosten der Armen und Geächteten, denen das Recht entzogen wird, sich zu wehren.

Indem die feministische Politik diese „falsche Rahmensetzung“ infrage stellt, macht sie eine dritte Dimension der Geschlechtergerechtigkeit – und zwar die der Repräsentation – sichtbar. Unter Repräsentation versteht man in demokratischen Gesellschaften gewöhnlich jene Einrichtungen und Gesetze, die jedem und jeder BürgerIn eine gleichwertige politische Stimme garantieren. Repräsentation betrifft aber auch die „metapolitische“ Frage, wie und wo die Grenzen etablierter Politik gezogen werden. Eine metapolitische Repräsentation, die sich auf Fragen der Rahmensetzung konzentriert, braucht eine Kontroverse über Gerechtigkeit, die nicht in standardisierten Territorialbegriffen gefasst werden kann. Im Kampf gegen eine „falsche Rahmensetzung“ gestaltet der Feminismus die Geschlechtergerechtigkeit neu als ein dreidimensionales Feld, in dem Umverteilung, Anerkennung und Repräsentation gleichermaßen eine Rolle spielen.

■ Transnationale Räume wie Europa werden wichtiger für feministische Politik

Die sich um die Europäische Union entwickelnde politische Sphäre erweist sich als wichtiger Ort für diese transnationale Phase der feministischen Politik. Und dort geht es nun darum, drei Dinge gleichzeitig zu tun: Erstens müssen Feministinnen mit anderen progressiven Kräften zusammen daran arbeiten, transnational und geschlechterpolitisch wirksame Sozialnetze einzurichten. Zweitens müssen sie gemeinsam mit ihren Verbündeten umverteilende Maßnahmen mit einer egalitären, das Geschlecht berücksichtigenden Anerkennungspolitik verbinden, das der kulturellen Vielfalt in Europa Rechnung trägt. Und schließlich sollten sie sicherstellen, dass ein transnationales Europa nicht die Festung Europa wird.

Europa ist aber sicher nicht der einzige Ort, wo sich diese dritte Phase des Feminismus entfalten kann. Genauso wichtig sind die transnationalen Räume, die die Vereinten Nationen und des Weltsozialforums umgeben. Es ist sicher nicht einfach, eine solche transnationale feministische Politik zu entwickeln. Aber sie enthält ein riesiges Versprechen, nämlich die Politik der Anerkennung und die der Umverteilung wieder ins Gleichgewicht zu bringen und so die Hauptschwäche der zweiten Phase zu überwinden. Andererseits könnte sie den blinden Fleck beider vorheriger Phasen überwinden, indem sie die Ungerechtigkeiten der „falschen Rahmensetzung“ bekämpft. Und vor allem könnte eine solche Politik uns helfen, die zentrale Frage unserer Zeit zu stellen und vielleicht sogar zu beantworten: Wie können wir die Forderungen nach sozialer Umverteilung, nach Anerkennung und Repräsentation so verbinden, dass wir die ganze Bandbreite der Geschlechterungerechtigkeiten in einer globalisierten Welt anfechten können?

Übersetzung: Veronika Rall Zwischentitel von der Redaktion