: Der Berliner Glaubenskrieg
Kehret um!, rufen Kirchen und CDU. Denn die SPD will zwar Werte an Schulen lehren lassen, aber nicht nur christliche. Auch Johannes Rau, Günter Jauch und Sabine Christiansen sind schon auf dem Kreuzzug gegen den Untergang des Abendlandes
VON SABINE AM ORDE
Die friedlichen Zeiten sind vorbei: Berlin befindet sich im Glaubenskrieg. Die Kirchen haben zu den Waffen gegriffen, und CDU und FDP marschieren mit. Gemeinsam sind die vier ausgezogen, um einen verpflichtenden Werteunterricht für alle Kinder an Berlins Schulen zu verhindern. Das Kampfinstrument der erregten Allianz: die Keule. Je dicker das Exemplar, umso besser. Immer wieder gehen die Schläge nieder. Die Religionsfreiheit ist in Gefahr!, knüppelt der evangelische Oberhirte Wolfgang Huber. Zustände wie in der Nazizeit und in der DDR!, keult der katholische Kardinal Georg Sterzinsky. Und CDU-Fraktionschef Nicolas Zimmer, auch nicht gerade zimperlich, droht gleich mit dem Verfassungsgericht.
Ziel der immer schärfer werdenden Angriffe sind die Berliner Sozialdemokraten, die sich am Samstag zu ihrem Landesparteitag versammeln – und dort über die Einrichtung von Werteunterricht befinden. Weil sich im Vorfeld eine Mehrheit abzeichnet, die ein gemeinsames verpflichtendes Fach für alle Kinder einführen will, fühlt sich die christlich-liberale Allianz bedroht. Denn Religionsunterricht könnte dann nicht alternativ zum Werteunterricht besucht werden. Alle SchülerInnen, egal ob Christ, Muslima, Buddhist oder Heidenkind, müssten miteinander lernen. Und voneinander. Den Religionsunterricht könnten sie zusätzlich belegen. Aber würden sie vielleicht nicht. Der Einfluss der Kirchen würde weiter schwinden. Und das im sowieso ach so gottlosen Berlin!
Noch hofft die Allianz auf Verbündete im feindlichen Lager: SPD-Bildungssenator Klaus Böger, in dieser Frage den Kirchen näher als der Mehrheit der eigenen Partei, will den alternativen Religionsunterricht. Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) und Alt-Bundespräsident Johannes Rau (SPD) haben einen Aufruf der Kirchen unterzeichnet. Und SPD-Bundesparteichef Franz Müntefering warnte in einem Interview vor dem alternativlosen Werteunterricht.
Die CDU setzt zudem auf psychologische Kriegsführung, um das feindliche Lager zu zersetzen. In einem offenen Brief fordert Fraktionschef Zimmer die Parteitagsdelegierten auf, noch einmal zu prüfen, ob der verpflichtende Werteunterricht wirklich mit dem eigenen Gewissen vereinbar sei. Schützenhilfe bekommt die christlich-liberale Allianz auch von zahlreichen Prominenten: Die Moderatoren Günther Jauch und Sabine Christiansen haben den Aufruf der Kirchen unterzeichnet, die Verlegerin Friede Springer und der Schriftsteller Günter de Bruyn. Mehrere tausend Unterschriften soll es insgesamt geben.
Doch die Chancen der Glaubenskrieger stehen schlecht: Alles sieht nach einer Niederlage am Samstag aus. Dann aber ist zu befürchten: Der Glaubenskrieg wird weitergehen.