zwischen den rillen
: Bonjour, Sinnsuche

Benjamin Biolay hat gelernt zu singen und böse Worte zu benutzen. Seine Schwester Coralie Clement lässt er rocken

Benjamin Biolay, cooler Hund des französischen Chansons, erweckte immer schon den Eindruck, als fühle er sich trotz allen Erfolgs latent unwohl in seiner Haut. Der Fixstern des nouvelle chanson, schon früh als neuer Gainsbourg gefeiert und von der Industrie mit Kopierschutz- und Nice-Price-Weihen als Megaseller markiert, Jetsetter des exquisiten Geschmacks – was sollte ihn verdrießen?

Bereits sein Debütalbum, „Rose Kennedy“ (2001), brachte ihn in den Ruf, ein begnadeter Arrangeur und Komponist zu sein, um den sich in der Folge alle möglichen Granden des Metiers rissen, auf dass er ihrer Karriere noch einmal aufhelfe. Biolay indes hatte schon bald nichts Besseres zu tun, als zu betonen, er habe die Nase voll vom Image als Zauberer der hundert Geigen.

Für eine echte Rockstar-Existenz allerdings standen Biolay stets die gründliche Sozialisierung am Konservatorium und seine eher schwache Stimme im Wege. Seine Frau Chiara Mastroianni, mit der er 2004 das supersanfte Album „Home“ aufnahm, so bekannte er in einem Interview, könne im Zweifelsfall auch brüllen wie die Castafiore, er aber könne aus seiner Haut nun einmal nicht heraus.

Mit seinem neuen Album, „A l’origine“ (Am Anfang), könnte Biolay nun vielleicht doch noch seinem musikalischen Glück näher gekommen sein. Zwar ist seine Stimme noch immer nicht die eines Johnny Halliday (Dieu merci!), dafür bemüht er sich nun gelegentlich um tatsächliches Singen, statt nur zu murmeln. Mit der Folge, dass er an solchen Stellen klingt wie sein Labelkollege Jean Louis Murat, und das ist ja auch schon was.

Nach wie vor gibt es herrliche Geigenparts, bisweilen wagemutig ergänzt um einen Kinderchor, aber all der bewährten Eleganz verpasst er immer wieder psychedelische Unwuchten, etwa wenn der Kinderchor am Ende des Titelsongs nur noch hysterisch kreischt wie bei einem Schulmassaker. Die ganze Platte scheint den Frieden mehr zu suchen, als ihn wirklich zu finden.

Auch textlich gibt es Verschiebungen. Handelten Biolays bisherige Platten auffallend oft von Reisen an ferne Orte, hat er nun das Vokabular um widerständige Worte ergänzt wie – merde. Oder Anthrax und Ground Zero, Intifada oder Mossad. Ohne freilich die Welt zu erklären. Eher schon gibt sich Biolay als Chronist der Verunsicherung, der klug genug ist, um zu wissen, dass er nur Gemeinplätze rekapituliert.

Stilistisch ist das 61 Minuten lange Album ohne Zweifel Biolays vielschichtigstes Werk. Da gibt es ironische Discoklänge à la Andreas Dorau neben Gitarrenrock und Neoromantik und Soundzitate von Gainsbourg bis zu den Beatles. Zusammengehalten wird das alles von einer latenten Nervosität, einer lauernden Abgründigkeit. Adieu, süßes Luxusleben – bonjour, Sinnsuche.

In Sachen Rock hat der mittlerweile 32-Jährige seiner jüngeren Schwester Coralie Clément den Vortritt gelasssen. Für deren zweites Album „Bye Bye Beauté“ (Bye Bye, Schönheit) hat er zwar wieder fast alle (durchweg französisch gesungenen) Lieder geschrieben, deutlichen Niederschlag gefunden hat aber auch der Einfluss von Coralies neuem Freund, Nada-Surf-Sänger Daniel Lorca: French chanson meets underground américain.

Für seine Schwester ersinnt Biolay weit weniger ominöse Texte, und das ist sehr gut so. Derart abgerüstet, gelingen ihm wohl klingende Minidramen wie „Tu me prends tu me laisses / comme une pute comme une peste“ (Du nimmst und verlässt mich / wie eine Nutte, wie eine Pest). Nur weiter mit dem Mut zur Einfachheit, Monsieur B. B.! Die Krone des Großharmonikers kann Ihnen sowieso keiner mehr rauben. REINHARD KRAUSE

Benjamin Biolay: „A l’origine“; Coralie Clément: „Bye Bye Beauté“ (beide EMI)