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Archiv-Artikel

Fit für die Ewigkeit

Niemand versteht sich so gut aufs Mumifizieren wie der Vatikan – neben den konkurrierenden Konservatoren des Kreml

Für Lenin, Ho Chi Minh und die russische Variante der Mumifizierung hat Dottore Gabrielli nur ein verächtliches Schnauben übrig

VON BARBARA KERNECK

Der Mann, der die Konservierung des konservativen verstorbenen Papstes Johannes Paul II. für die Ewigkeit überwacht haben muss, stand oder saß zu dessen Lebzeiten häufig neben ihm. Zum Beispiel meldete die Presse im September 2001, an der Premiere des polnischen Films „Quo Vadis“ und am anschließenden Empfang in Rom habe der Heilige Vater gemeinsam mit Dottore Gabrielli teilgenommen.

Nazzareno Gabrielli ist Leiter der wissenschaftlichen Laboratorien bei den Museen des Vatikans. In dieser Eigenschaft hat er unter dem Pontifikat Johannes Pauls II. nicht nur die Restaurierung der Fresken Michelangelos in der Sixtinischen Kapelle und zahlreicher Heiligenreliquien überwacht, sondern nach eigener Aussage auch bei der Mumifizierung von über vierzig Bischöfen und Heiligen persönlich Hand angelegt. Papst Johannes Paul II. hat mehr Sterbliche heilig gesprochen als irgendein Pontifex vor ihm. Mit den Heiligsprechungen wurden unter seiner Herrschaft auch die Mumifizierungen endemisch. Wenn also in diesen Tagen der Vatikan verkündet, der Papst sei für die Bestattung „einbalsamiert“ worden, liegt die Vermutung nahe, dass die Manipulationen am heiligen Körper die Aktivitäten gewöhnlicher Leichenbestatter bei weitem übertroffen haben.

Der Heiligen- und der Mumienstand lagen für die so Geehrten unter Johannes Paul nah beieinander. Ein Glanzbeispiel dafür lieferte der mit dem Papst befreundeten Kardinal und Glaubensmärtyrer Josyf Slipy (1892 bis 1984), für Gabrielli eines seiner Meisterwerke. Slipy liegt heute frisch und rosig in seiner Kathedrale in Lviv – zum Ärger der stets mit dem Kreml verfilzten russisch-orthodoxen Kirche. Der Kardinaldissident hatte 18 Jahre in stalinistischen Straflagern verbracht.

Vor kürzerer oder längerer Zeit Verstorbene mussten sich wenigstens auf eine gründlichen Überholung ihrer Überreste gefasst machen, bis hin zur Nachmumifizierung. Prominentestes Beispiel ist der wegen seiner liebenswürdigen Aura als „guter Papst“ bezeichnete Johannes Paul XXIII. (Amtszeit 1958 bis 1963).

Der von einer römischen Leichenbestatterfamilie bei seinem Tode schon recht haltbar gemachte Pontifex wurde im Sommer 2001 aus seinem Grab im Petersdom gehievt, nachpräpariert und in einem Kristallsarg unter einer Krypta des Doms dem Publikum zugänglich gemacht.

Gelegenheit, den prominenten Mikrobiologen und Chemiker Gabrielli kennen zu lernen, hatte ich im September vergangenen Jahres auf dem „Fünften Mumien-Weltkongress“ in Turin. Dort trafen sich über 200 auf Mumien fixierte Wissenschaftler, unter anderem Ägyptologen, Ethnologen, Zahnärzte, Insektenkundler, Forensiker und Radiologen. Die Veranstalter hatten Gabrielli als Referenten über Mumien im Showbusiness geladen. Ihn irritierte dies in keiner Weise. Seine Krawatte ruhte waagerecht auf seiner vor Selbstzufriedenheit hoch gewölbten Brust. Eine kleine Schwierigkeit gestand er allerdings: „Ich komme manchmal nicht umhin, an Prozeduren teilzunehmen, welche die Würde der heiligen Überreste bedrohen.“

Der hoch gewachsene Mann um die sechzig berichtete stolz über die Restaurationsarbeiten, welche er am seligen Körper der heiligen Margarita von Savoyen (1390 bis 1464) vorgenommen hatte. Die heute in Alba zur Schau gestellte Heilige war auf wundersame Weise unverwest geblieben, aber zuletzt nicht mehr ganz repräsentativ. Gabrielli ging bei der Renovierung bisweilen prosaisch zu Werke, so verbesserte er die Haltung der Seligen mit einem soliden Stück Karton in ihrem Rücken und „klebte“ sie stellenweise. Womit, dies verriet er nicht. Über seine Mumifizierungsmethoden schweigt der Experte beharrlich.

Die heute gängigste und vielversprechendste Methode ist die Ersetzung des Bluts, zuerst durch eine Formaldehydlösung, später durch weitere konservierende Flüssigkeiten. So rühmen sich zum Beispiel die für das Lenin-Mausoleum zuständigen Wissenschaftler vom Moskauer „Institut für biologische Strukturen“, dass der Flüssigkeitsaustausch zwischen Lenins Zellen noch immer so aktiv sei wie zu Lebzeiten.

Der damalige wissenschaftliche Direktor des Instituts, Professor Juri Romakow, ein zierlicher alter Herr mit viel Sinn für Ironie, berichtete mir Mitte der Neuzigerjahre: „Ich arbeite mit Lenin schon über 30 Jahre und könnte nicht sagen, dass er sich in dieser Zeit irgendwie verändert hätte.“ Die besten Resultate liefert diese Methode übrigens, wenn sie sofort nach dem Tode angewendet wird. So stand sein Team schon bei den letzten Atemzügen Ho Chi Minhs 1969 im Nebenzimmer bereit, mit Eimern und Schläuchen in den Händen und Tränen in den Augen. Onkel Ho, aufgebahrt in einem lakonischen weißen Mausoleum in Hanoi, wurde deshalb zur ansehnlichsten Mumie der Neuzeit.

Nicht alles, was man heute „Mumie“ nennt, wurde absichtlich konserviert. Manchmal besiegte die Natur im heißen Sand, im ewigen Eis oder in Sümpfen den physiologischen Zerfall besser als menschliche Balsamierungskünstler. Mit den heutigen Methoden kann man Mumien aller Art schon Informationen über Ernährung, Drogenkonsum und/oder genetische Verwandtschaft entlocken. In zehn Jahren wird noch sehr viel mehr möglich sein. Mumiologen von heute bemühen sich deshalb um Untersuchungsmethoden, welche die Objekte so heil und ganz wie möglich lassen.

Ein besonderes Problem bilden in dieser Hinsicht aus dem Eis geborgene Mumien. Der Dauerfrostzustand der prominentesten und ältesten Mumie der Welt, Ötzi (5.000 Jahre), verschlingt astronomische Summen. Das Moskauer Team durchtränkte Mitte der Neunzigerjahre einige von russischen Archäologen in Gletschern gefundene Skythenmumien so mit Konservierungsmitteln, dass sie fit zur Aufbewahrung bei Zimmertemperatur wurden. Allerdings fror man vorher Zellproben jedes Exemplars ein, weil das Verfahren die wertvolle DNS zerstört.

„Jede Mumie ist ein unschätzbares Geschenk für die Wissenschaft der Zukunft“, sagte mir der Moskauer Mausoleumspatriarch Romakow 1999. Genau wie der Vatikan, führte auch er eine Dauerfehde mit der russisch-orthodoxen Kirche, die gerade mal wieder die Beerdigung des „unchristlich“ exponierten Lenins forderte. Romakow: „Die Bestattung balsamierter Vorfahren in Mausoleen war schon in vorchristlichen Zeiten ein Bedürfnis der Menschen und wird es auch bleiben: Der Mensch möchte sich im physischen Angesicht einer verehrten historischen Persönlichkeit seiner selbst vergegenwärtigen.“

Bei seinen Mumifizierungsmethoden braucht Gabrielli auf die Bedürfnisse zukünftiger Wissenschaftler keine Rücksicht zu nehmen. Dem Vatikan ging es in den vergangenen Jahrzehnten vor allem um den heiligen Schauer, sogar die Natur übertrumpfte er dabei: Anlass für die Heiligsprechung eines längst Verstorbenen lieferte den Katholiken früher die wunderbare Intaktheit seines Körpers, in unseren Tagen Heiliggesprochene bekamen diese gleich vom Vatikan garantiert.

Gabrielli scherzt über sich selbst, er habe sich wegen seiner Leibesfülle noch nie in ein Mausoleum zwängen können. Ob er nicht an einem Treffen mit den Betreuern der Lenin-Mumie interessiert sei, fragte ich ihn in Turin. „Nein“, schnaubte er, „Lenin interessiert mich nicht, Lenin ist gefroren.“

Zwei Wochen später traf ich in Moskau auf der Straße einen hochrangigen Mitarbeiter des Teams vom „Institut für biologische Strukturen“ und erzählte ihm die Episode. Der Mann wirkte nicht gekränkt, sondern bekam glänzende Augen. „Die wissenschaftlichen Laboratorien des Vatikan“, sagte er mit lauter Betonung des letzten Worts, „das wäre doch mal wirklich interessant gewesen.“ So sprechen heiratsfähige Adelige von einer ebenso attraktiven wie standesgemäßen Partie.