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Archiv-Artikel

Wo die rote Sonne versinkt

In rosa Mao-Jacken zu Bach-Fugen tanzen: Das Tanztheaterstück „Shanghai Beauty“ in Berlins HKW will östliche und westliche Vorstellungen von Schönheit verbinden – und landet damit nahe am Kitsch

Das Jin Xing Dance Theatre ist Chinas erste private Tanzcompagnie Geleitet wird sie von der sympathischen Transsexuellen Jin Xing

Von CHRISTIANE KÜHL

„Beauty“, wusste Frank Zappa, „is a pair of shoes you want to die for.“ Und griff damit nicht nur Sarah Jessica Parker voraus, sondern sprach im Grunde alles Wesentliche an, was die abendländische Philosophie mit Schönheit verbindet. Schön sind Gegenstände und ihre Erscheinung, Schönes ist begehrenswert und eng mit dem Tod verbunden. Orpheus musste das schon in der Antike am eigenen Leib erfahren; Faust war noch in der deutschen Klassik bereit, für einen schönen Augenblick gottlos zugrunde zu gehen.

Der chinesische Philosoph ist am Schuh nicht so interessiert. Nicht einmal am Fuß, wie die Choreografin Jin Xing klarstellt; das bekannte Verschnüren und Verstümmeln chinesischer Frauenfüße sei einzig als maskulines Machtinstrument zu deuten. Schönheit im ostasiatischen Verständnis entsteht durch das, was mit Schuhen und Füßen vollzogen wird: Bewegung im Raum. Inbezugsetzung. Nicht der Körper ist zentral, sondern seine Energie. Schönheit, für die es in Mandarin keinen eindeutigen Begriff gibt, ist vollkommene Harmonie.

Radikal verschieden, konstatiert der französische Kulturtheoretiker François Jullien, seien die europäischen und asiatischen Vorstellungen vom Schönen. Mit dem Performance-Programm des breit angelegten Projekts „Über Schönheit“ im Berliner Haus der Kulturen der Welt sollen sie derzeit neu untersucht werden. Zwei Vorträge (Jullien und Akira Kasai), ein Gespräch (Padmini Chettur mit Sasha Waltz) und fünf Choreografien (unter anderem von Susanne Linke, Yumiko Yoshioka) von den Kontinenten, die mit dem deutschen Tanztheater und japanischen Butoh den Tanz des 20. Jahrhunderts am entscheidendsten prägten, versuchen die Welt der Unterschiede physisch erfahrbar zu machen.

„Translating Acts“ heißt die Reihe, deren größtes Projekt „Shanghai Beauty“ am Donnerstag uraufgeführt wurde. Entstanden ist die Choreografie als Auftragsarbeit. Jutta Hell und Dieter Baumann der Berliner Tanzcompagnie Rubato haben auf Einladung des HKW in Schanghai mit dem Jin Xing Dance Theatre geprobt. Die 2000 gegründete Gruppe ist die erste und bislang einzige private Tanzcompagnie der Volksrepublik; mit ihrer Leiterin, der charmanten Transsexuellen Jin Xing, verbindet die beiden bereits seit zehn Jahren Freundschaft und drei gemeinsame Arbeiten. Untereinander, erklärten sie vorab, hätten sie gar keine Differenzen betreffs des Schönheitsbegriffs. „Beauty is the basis“, sagt Jin Xing, und das wollten sie kommunizieren.

„Shanghai Beauty“ beginnt mit einem Video, das im Zeitraffer die Verwandlung eines Alltagsgesichts in das der Königin der Peking Oper zeigt. Am Ende des Stücks tritt diese stilisierte Figur auf, thront zwischen den Tänzern als lebendiges Relikt einer anderen Zeit. Die 70 Minuten dazwischen sind eine schnelle Abfolge von Szenen, Musiken, Kostümen und Bewegungsvokabular. Rubato präsentiert bewegte Tableaus, die jedes von einer choreografischen Idee und tänzerischer Präzision beherrscht sind. Da ist das Bild der dunklen Masse, die sich zusammen bewegt, einen Körper bildet. Da sind Duos Händchen haltender Blumenshirtträger, die wie Verliebte durchs Gras hüpfen. Es gibt ganz in sich ruhende Tänzer mit freier Brust, deren konzentrierte Bewegungen auf Hüfthohe Formen der Martial Arts zitieren. Und mit barfüßigen Männern in Anzügen, die Frauen in bunten Kleidern zwischen sich bewegen, deutliche Reminiszenzen an Pina Bausch.

Fraglos schöne Augenblicke gelingen so, besonders in den Formationen, die die Gruppe im geordneten Chaos eines nervösen Vogelschwarms zeigen. Doch ohne jede Brechung, mit der das europäische Tanztheater dem Ideal der Schönheit seit 80 Jahren begegnet, ist die Grenze zum Kitsch, zum Pittoresken leicht überschritten. Oder wie ist es zu nennen, wenn in rosa Mao-Jacken zu Johann Sebastian Bach getanzt wird?

Vielleicht hätte es dem Projekt „Über Schönheit“ besser angestanden, ein Stück zu initiieren, das sich mit Schönheit auseinander setzt statt schön sein zu wollen. Oder, sollte es in China tatsächlich trotz des rasant zunehmenden Einflusses der westlichen Kulturindustrie, von Übergewicht und plastischer Chirurgie ein ungebrochenes Verhältnis zu Harmonie und Schönheit geben, wäre es interessanter gewesen, das deutsche Publikum mit diesem anderen Konzept zu konfrontieren.

In „Shanghai Beauty“ ist jedenfalls nichts von der viel beschworenen radikalen Differenz zu spüren. Deutsche Choreografen haben mit chinesischen Tänzern europäische Formen einstudiert, die diese um einige Figuren erweitern. Das Stück endet mit einem Bühnenprospekt, rot leuchtend wie ein Sonnenuntergang – eine größere Schnittmenge dessen, was Menschen schön nennen, ist vermutlich nicht zu finden.

Programm unter www.hkw.de