: Genosse K. von der Toskana-Fraktion
Für die SPD saß Klaus Konrad elf Jahre im Bundestag, ein geachteter Mann. Dass schon 1972 wegen Beteiligung an einem Kriegsverbrechen in Italien gegen ihn ermittelt wurde, fiel niemandem auf. Jetzt spricht er über damals – und bereut nichts
VON NADINE BÖS
Mit seinen 90 Jahren hat Klaus Konrad jede Menge Bekannte, vor allem unter seinen sozialdemokratischen Parteifreunden. Doch viele dieser Bekannten sagen heute, sie hätten Klaus Konrad nie gekannt. Nicht weil sie leugnen wollten, dass sie dem langjährigen Bundestagsabgeordneten schon oft begegnet sind oder mit ihm zusammengearbeitet haben. Sie sagen, sie hätten Klaus Konrad nie gekannt, weil sie glauben, der Träger des Bundesverdienstkreuzes hätte ein zweites Gesicht gehabt.
Konrad ist der letzte überlebende Offizier eines Wehrmachts-Regimentsstabes, dem ein grausames Massaker in der Toskana vorgeworfen wird. Bisher hatte er nichts dazu getan, die beiden Bilder seiner Person zusammenzufügen. Erst mit 90 Jahren, gegen Ende seines Lebens, hat er nun ausgepackt. In zweieinhalb Stunden Interview vor der laufenden Kamera des RBB-Fernsehens erzählt er seine Geschichte. Der taz liegt das Protokoll im Wortlaut vor.
Die Vorwürfe gegen Konrads Regiment sind harsch: Mindestens 54 Zivilisten aus dem norditalienischen Dörfchen San Polo sollen die Deutschen im Juli 1944 erschossen haben, aus dem vagen Verdacht heraus, die Männer hätten Partisanen unterstützt. Mehr noch: Die Soldaten sprengten die Leichen mit Dynamit, wohl um die Folterspuren zu verwischen. Britische Militärermittler entdeckten, dass 16 Opfer noch gelebt haben müssen, als sie in der Erde verscharrt und anschließend gesprengt wurden. Ob Klaus Konrad in Italien selbst geschossen und gesprengt hat oder als Mitwisser passiv blieb, ist bis heute nicht klar.
Der Genosse K. passt nicht in das Bild, das die Sozialdemokratie von sich hat. Einer von den Genossen, die Klaus Konrad schon sehr lange kennen, ist Norbert Gansel. Wie Konrad stammt Gansel aus Schleswig-Holstein, von 1972 bis 1980 saßen sie gemeinsam in der SPD-Bundestagsfraktion. Norbert Gansel, der nach seiner Tätigkeit im Bundestag Oberbürgermeister von Kiel war, gilt über Parteigrenzen hinaus als Beispiel für einen integren Politiker. Erst aus den Medien hat Gansel von der Vergangenheit Konrads erfahren. Geschockt über die Vorwürfe, glaubt Gansel heute: „Das ist ein anderer Mensch, einer, den ich nicht kenne.“
„Ich bin heutzutage von der Angelegenheit nicht mehr sonderlich berührt“, sagt Konrad den Reportern René Althammer und Udo Gümpel ins Mikrofon. Man nimmt ihm die Ungeniertheit sofort ab. Mit wachen blauen Augen, ohne Gefühlsregung im Tonfall sagt er das und fügt hinzu: „Ich habe mich nie in der Sache irgendwie schuldig gefühlt.“
Klaus Konrad gibt zu, dabei gewesen zu sein, als in seinem Regiment der Beschluss zu den Erschießungen fiel. Er gibt zu, dabei gewesen zu sein, als die zunächst gefangen genommenen Dorfbewohner von San Polo gefoltert wurden. Er gesteht ein, nichts gegen Folter und Mord unternommen zu haben. Und er bereut nichts.
Klaus Konrad ist alt und weißhaarig, aber er ist nicht senil. Althammer erzählt über ihn, dass er ein guter Autofahrer ist und rüstig in Haus und Garten arbeitet. Sein Anwalt hatte ihm davon abgeraten, mit Journalisten über seine Vergangenheit in Italien zu sprechen. Konrad tat es dennoch. Er sagte, er wolle erzählen, „wie sich das für mich darstellt“.
Wenn er mit den Ereignissen in Italien konfrontiert wird, reagiert er unbewegt. Als die Fernsehreporter den 90-Jährigen um ein Gespräch über seine Wehrmachtszeit baten, sorgte sich Konrad zunächst um sein Erscheinungsbild vor der Kamera: „Vielleicht will ich gar nicht gefilmt werden, so wie ich aussehe“, sagte er den Reportern. „Wenigstens bin ich rasiert. Zufällig.“
Unaufgeregt redet er von den Zeiten damals. Wenn er doch ins Stottern gerät, dann nur an Stellen, an denen er sich offenbar entlarvt fühlt oder an denen er fürchtet, etwas zu sagen, das ihm juristisch schaden könnte. Klaus Konrad muss es wissen – er ist selbst Jurist. Bloß bei der Völkerrechtsvorlesung in seinem Studium, sagt er, sei er nicht da gewesen. Ein Stotter-Satz.
Genosse K. zeigt Gefühle fast nur, wenn er es sich vorgenommen hat. „Von einem Richter“, sagt er, könne ihm „natürlich eindringlicher nahe gelegt werden, etwas zu empfinden“. Bedauern? Bedauert habe er die Ereignisse erst, „seit die Italiener mich am Kanthaken haben“.
Die Italiener haben 2004 ein Ermittlungsverfahren wegen Mordes gegen Klaus Konrad eingeleitet. Nicht sein erstes Verfahren. Auch die deutsche Staatsanwaltschaft ermittelte 1972 gegen den ehemaligen Wehrmachtsoffizier und andere Beteiligte des Massakers im italienischen San Polo. Damals wurde das Verfahren eingestellt, da der Vorwurf des Totschlages verjährt war. Falls man Konrad in Italien des Mordes überführen kann, wollen auch die Deutschen ihr Verfahren wieder aufnehmen.
Die Frage bleibt im Raum, ob 1972 das Verfahren gegen einen ihrer Bundestagsabgeordneten an der SPD komplett vorbeigegangen ist. Wer wann die Augen verschlossen hat. Norbert Gansel kann darüber nur spekulieren. Klaus Konrad sagt heute, er habe mit Herbert Wehner über die Angelegenheit gesprochen: „Sowie ich als Beschuldigter vernommen wurde, habe ich das Wehner gesagt.“ Gansel kann sich das durchaus vorstellen. „Es entspräche Wehners Art, dieses Wissen für sich zu behalten.“
Bis heute verbleibt Konrad ordentliches Mitglied der Partei. Von seinen öffentlichen Ämtern ist er freiwillig zurückgetreten, das Bundesverdienstkreuz hat er behalten. Und ein Parteiausschlussverfahren hat noch keiner gegen ihn angestrebt.