„Zu 90 Prozent Mist“

Heute läuft die letzte Folge der preisgekrönten Serie „Berlin, Berlin“ (ARD, 18.50 Uhr). Drehbuchautor David Safier über verdienten Erfolg, die Qualität von Telenovelas und neue Projekte

INTERVIEW SASCHA BORRÉE

taz: Herr Safier, was war das für ein Moment, als Sie die letzte Folge von „Berlin, Berlin“ zu Papier gebracht hatten?

David Safier: Der Moment kam ja immer wieder. Ich habe die letzte Szene geschrieben. Dann gab es nach Rücksprache mit der Redaktion und der Regisseurin mehrere Änderungen. Aber wenn Sie nach meinem Gefühl fragen: Das war eine Mischung aus Traurigkeit und Erleichterung. Mit dem Schreiben einer Serie ist schon sehr viel Druck verbunden.

Wie geht es für Sie als Autor weiter?

Von Lolle komme ich doch noch nicht los. Ich arbeite daran, „Berlin, Berlin“ auf die Kinoleinwand zu bringen. Schon in eineinhalb Jahren könnte es so weit sein. Lolle wäre dann 27. Daneben entwickele ich mit „Liebe, Liebe“ eine neue Serie, die die Lebenswelt der Leute um die 30 abbildet.

Wie erklären Sie sich den Erfolg von „Berlin, Berlin“?

Die Entwicklungsbedingungen waren einmalig. Ich hatte viel mehr Freiheiten als sonst für Autoren üblich. Dazu kam das große Glück, dass alle Leute, mit denen ich zusammen gearbeitet habe, auf der gleichen Wellenlänge lagen. Da war der Mut vorhanden, auch mal etwas zu vertreten, was anderswo schnell abgebügelt worden wäre.

ZDF und Sat.1 setzen jetzt – ebenfalls sehr erfolgreich – auf Telenovelas. Was halten Sie von diesem Format?

Da muss ich diplomatisch bleiben. Wir stehen ja mit „Berlin, Berlin“ in direkter Konkurrenz zur Telenovela „Verliebt in Berlin“, und ich will nicht als schlechter Verlierer dastehen. Aber sagen wir mal so: Bei „Berlin, Berlin“ muss der Zuschauer vergleichsweise eng an der Geschichte dranbleiben. Man kann nicht nebenbei bügeln oder abwaschen.

Auch das Frauenbild von „Verliebt in Berlin“ ist ein ganz anderes.

Sagen wir mal so: Lolle in „Berlin, Berlin“ ist ein selbstbewusstes junges Mädchen, das ständig Entscheidungen treffen und dann sehen muss, wie sie in dieser Welt zurecht kommt. Die Fernsehzuschauerinnen leiden mit ihr. Lolle ist viel näher an deren eigener Lebens- und Gefühlswelt, wenn sie sich beispielsweise zwischen zwei Männern hin- und hergerissen fühlt. Wie in der Wirklichkeit muss man bis zum Schluss bangen. Die Telenovelas dagegen versprechen schon von Anfang an, dass am Ende alles gut wird, und verströmen so eine gewisse Wohligkeit. Das ist Eskapismus pur.

Welche Serie fehlt noch im deutschen Fernsehen?

Ich mag Sciencefiction und Fantasy sehr gerne. Aber diese Genres lassen sich nur schwer realisieren, weil sie teuer sind und eine vergleichsweise kleine Zielgruppe ansprechen. Auch Stoffe aus dem Dritten Reich reizen mich.

Die sind ja nicht gerade Mangelware.

Aber fast immer, wenn dazu etwas läuft, geht es um die Täter: Hitler, Himmler oder Goebbels – Deutschland sucht den Superschurken. Mich interessiert der Alltag ganz normaler junger Juden in den 30er- und 40er-Jahren. Deren Geschichten werden viel zu selten erzählt.

Mit Grimme Preis und Emmy in der Tasche sollte es Ihnen doch nicht so schwer fallen, so etwas durchzuboxen?

Heute habe ich es schon leichter, erst einmal Gehör zu finden. Aber am besten lässt es sich immer noch arbeiten, wenn die Quote stimmt. Das ist das überzeugendste Argument.

Sehen Sie selbst noch immer gerne fern?

Auf jeden Fall. Da gibt’s eine Reihe von Serien, die ich regelmäßig verfolge: „The West Wing“, „Buffy“, „Angel“, „Lost“ … Auch „Sex and the City“ hat mir viel Spaß gemacht.

Das sind alles US-amerikanische Produktionen. Wie sieht es mit den deutschen aus?

Ich versuche mir zumindest die ersten Folgen einer neuen Serie immer anzusehen.

Manche Serien aus den USA sind echte Meilensteine. Die Autoren erforschen immer wieder sehr erfolgreich neue Milieus und Genres. Warum gelingt das hierzulande so selten?

Auch in den USA wird natürlich zu 90 Prozent Mist gesendet. Aber unter den übrigen 10 Prozent sind echte Perlen. Das liegt unter anderem daran, dass der Autor dort eine viel stärkere Rolle hat. Oft ist er auch Produzent und damit Chef im Ring. Allmählich setzen deutsche Redakteure und Produzenten verstärkt auf Autorenpersönlichkeiten. Allerdings ist die Talentdichte in den USA noch immer viel höher.

Aber die Autoren kommen dort ja auch nicht schon hochbegabt zur Welt.

Wenn man die Anfänge im Kino mit einberechnet, ist die US-amerikanische Serientradition fast 100 Jahre alt. Da wird die Serie viel höher geschätzt, und es gibt in den USA wahre Meister im seriellen Erzählen, von denen Nachwuchsautoren viel lernen können. So etwas muss sich in Deutschland erst noch entwickeln.