: Gracia – die Unschuldige!
Der Manager der Sängerin steht unter Verdacht, die Charts manipuliert zu haben. Hat sie die Reise zur Eurovision nach Kiew unverdient gewonnen? Und wenn ja: Wie korrupt ist die Branche eigentlich?
VON JAN FEDDERSEN
Das jedenfalls steht fest: Gracia, 22 Jahre, ehemalige „Deutschland sucht den Superstar“-Teilnehmerin und außerdem bekannt geworden als Busenfreundin von Daniel Küblböck, wird am 21. Mai in Kiew für Deutschland beim Eurovision Song Contest singen. Sie wird nicht disqualifiziert, das schloss der NDR gestern kategorisch aus. „Die Regeln sagen, dass ein Titel das Televoting der Vorentscheidung gewonnen haben muss – und das hat Gracia ohne jeden Zweifel“, so sagte es Jürgen Meier-Beer, TV-Unterhaltungschef des NDR, gestern zur taz.
Offen ist, was genau geschah. Gewiss ist, dass, erstmals in der Geschichte von Hitparaden in Deutschland, gleich drei Acts aus den Charts verbannt wurden – neben Gracia etwa auch Vanilla Ninja, eine ziemlich populäre Mädchengruppe aus Estland, die für die Schweiz in Sachen Eurovision angeheuert worden war.
Gracias „Run & Hide“ tauchte Anfang Februar in den so genannten Trendcharts auf – in jenen teilen CD-Megastores mit, welcher neue Song besonders oft gekauft wird. Was dann wiederum als Prognose für den Einstieg in die Hitparade gehandelt wird. Ungefähr zur selben Zeit nahm der NDR – auf der Suche nach bekannten Namen für seine Grand-Prix-Vorentscheidung, um nicht gänzlich als Verliererformat in Rivalität zu Stefan Raabs Bundesvision zu gelten – Gracia und ihren eingängigen Rockstomper wahr. Die Münchner Sängerin wurde umgehend zur Teilnahme geladen: als Trägerin einer so genannten Wild Card. „Sie wäre auch ohne Trendcharts und Wild Card willkommen gewesen“, so Meier-Beer.
Gerade diese Trendcharts allerdings sollen durch Gracias Manager David Brandes bestückt worden sein: durch gezielte CD-Kauforder in Megastores. Und das fiel Media Control auf: Dort prüft man, ob ein Großhändler besonders viele Exemplare eines Titel ordert, andere Grossisten aber nicht. Das führt, statistisch gesehen, zu einer „Verklumpung“ der Einträge in die Erfolgstabellen – und ebendies lädt zu Verwunderungen ein. In der Musikbranche selbst glaubt man nicht, dass Produzent David Brandes der Übeltäter war: „So blöd ist der auch nicht“, heißt es, ohne dass dieser Auskunftgeber bereit wäre, seinen Namen in der Zeitung zu lesen. „Die Manipulation wäre nicht aufgefallen, wenn Gracias Titel in zehn Läden in je geringerer Stückzahl geordert worden wäre.“ Der Mann kennt sich aus: Es sei üblich, dass Acts, die noch nicht für sich sprechen (Juli, Silbermond, Annett Lousian und so weiter), mit gewissen „Anschüben“ in die Trendcharts lanciert werden – „das macht jeder Product Manager, der seine eigene Arbeit gespiegelt sehen will“.
Ohne Charts keine Galas, keine TV-Auftritte, kein Viva, kein MTV, keine ARD und kein ZDF – und also ein geringerer Marktwert. Denn mit Tonträgern machen Pop-Acts nur noch selten Umsatz, am ehesten in den vergangenen Monaten noch Sarah Connor und das One-Hit-Wonder Schnappi.
Eine Figur von gestern, ein gewisser Uwe Hübner, kreischte jetzt via Kölner Express, nun müsse die Musikindustrie „sensibler“ werden. Gerade er allerdings ist von Gerüchten umwölkt, auf seine CD-Kompilationen komme nur, wer sich ihm gegenüber auch sonst wie gewogen zeigt, pekuniär beispielsweise. Aber das sind natürlich nur Mutmaßungen – sicher ist, das sagten gestern eine Menge Insider aus der Musikindustrie, dass nach wie vor alle die Charts beschummeln. Und das schon seit Jahrzehnten.
Auffällig nur, dass ein Schmu wie der um Gracias Song durch Verkaufsordern im unteren vierstelligen Bereich möglich wurde: Waren vor drei Jahrzehnten noch 100.000 verkaufte Singles nötig, um in die Top 30 zu kommen, reichen offenkundig heute deren 7.000.
Gracia jedenfalls ist, das bestätigen alle Musikindustriearbeiter von der EMI über die Universal bis zur BMG, unschuldig: „Die ist doch heilfroh, dass sie nach ‚Deutschland sucht den Superstar‘ einen wie David Brandes gefunden hat, der ihrer Karriere noch mal einen Kick geben kann.“ Die Gehypte selbst schäumte gestern: „Eine unerhörte Sauerei, dass uns das unterstellt wird. Ich habe den Vorentscheid gewonnen, weil ich das Televoting bekam – die Charts waren nicht mehr wichtig.“ David Brandes hat gestern einen Anwalt mit der Vertretung seiner Interessen beauftragt. Dem Vernehmen nach wird nicht gegen die Rufschädigung gestritten, sondern gegen den Vorwurf der Manipulation selbst: Wäre Brandes kein Manipulator, hätte die Musikindustrie endlich, so hörte man es gestern seitens der EMI, „einen Heiligen“ gefunden. Wenn auch einen auf einer sehr dünnen Säule.