Der Ruin einer Ruine

In seinem Dokumentarfilm „Kulturpark – Korruption, Karussells und Kokain“ rekonstruiert Immanuel Weinland den Boom des größten Freizeitparks der DDR und dessen Untergang nach der Wende

VON LUCIA JAY VON SELDENECK

Im Dauernieselregen wirken die von Pflanzen überwucherten Karussells und die einsamen Kassenhäuschen besonders traurig und verlassen. Die Überreste des Berliner „Spreeparks“ und einige letzte Relikte aus dem „Kulturpark“ der DDR erinnern an Bilder einer Geisterstadt. Dieses Gefühl vermittelt auch der Dokumentarfilm „Kulturpark“, in dem Immanuel Weinland die Geschichte des Berliner Vergnügungsparks in der Zeit vor und nach der Wende schildert. Der Fotograf und Filmemacher kennt sich auf dem Gelände aus: „Man sieht noch die Bemühungen, hier nach der Wende wieder was aufzubauen“ – er deutet auf die nackten Stahlverstrebungen am Wegrand –, „das sollte eine Wasserbahn werden – aber dann ist ihnen das Geld ausgegangen.“

„Kulturpark“ ist ein Film über ein widersprüchliches Prestigeobjekt der DDR-Regierung, ein Disneyland des Sozialismus, das nach dem Fall der Mauer von Norbert Witte, einem dubiosen Investor aus dem Westen, in den Ruin getrieben wurde. Nachdem der Sohn aus einer Hamburger Schaustellerfamilie 2002 den Großteil der Fahrgeschäfte in Container verpackt und nach Peru verschifft hat, stehen die ehemaligen Angestellten heute vor den rostigen Überbleibseln ihres hoch verschuldeten Parks.

„Im Vordergrund stehen für mich die Einzelschicksale: Menschen, die damit nicht klarkommen, dass sie einmal mit ihren Buden und Karussells erfolgreich waren und heute als Loser dastehen.“ Immanuel Weinlands Blick wird nachdrücklich: „Es sind nicht wenige, die daran zerbrechen.“ Der Film zeigt das Schicksal der Kulti-Wendeverlierer und geht der Frage nach, wie ihr Frust entstanden ist.

Bilder aus dem Archiv lassen den Kulturpark noch einmal aufleben: Achterbahnen rattern auf den Schienen vorbei, Karat und die Puhdys treten auf. Der „Kulti“, wie der Freizeitpark zu DDR-Zeiten liebevoll genannt wurde, war beliebtes Familienausflugsziel und Punkertreffpunkt der DDR. Weinlands Blick schweift über die riesigen Schwäne, die in Reih und Glied neben den Schienen stehen und darauf zu warten scheinen, dass etwas passiert. „Der Kulturpark ist für die Menschen ein Stück heile Ostwelt gewesen. Daran erinnern sich alle gerne“, erzählt er von den Filmarbeiten. „Dass der Kulturpark auch eine politische Angelegenheit war, haben die meisten vergessen – oder nie erfahren.“

Heute kreischt niemand mehr vor Vergnügen, der allmählich vorrückende Wald droht die Schienen unter der Spreeparkbahn bald ganz zu verschlingen. Gegenüber hat sich Tyrannosaurus Rex bedrohlich und lebensgroß auf die Hinterfüße gestellt und fletscht die Zähne, der Brontosaurus ist auf die Seite gefallen und streckt die hohlen Plastikbeine in die Luft. „Ich habe bei den Dreharbeiten ein Stück weit gelernt, die Leute zu verstehen, ihre Situation, ihren Frust,“ erklärt der 27-jährige Filmemacher und streicht sich den Regen aus dem Gesicht. „Und das will ich in dem Film auch zeigen: Es geht vor allem um die Menschen und ihren Kampf.“

Die Menschen, das sind ehemalige Angestellte, Bernd Römer von Karat, Funktionäre, Politiker, ein Rechtsanwalt und ein Ostpunk. Alle erzählen ihre persönliche Geschichte zu dem Park. Da ist zum Beispiel Rolf Deichsel, der seit 1976 als privater Schausteller im Kulturpark arbeitete. Nach der Wende errichtet er ein Westernvillage mit Schießbuden und Thai-Imbiss. „Sheriff Office“ und „Shooting Gallery“ steht auf den Schildern über den Türen in der Spreepark-Westernstadt. Deichsel fühlt sich betrogen. In Weinlands Film stellt er seinen Standpunkt dar: „Uns hat es richtig hart getroffen.“ Sein Gesicht nimmt einen entschlossenen Ausdruck an: „Wir verlassen dieses Territorium nicht. Eher müssen die meine Familie und mich hier raustragen.“ Rolf Deichsel wohnt noch heute im ausgestorbenen Westernvillage, neben dem Saloon und der Western Bank.

Wer schuld ist am Untergang des Freizeitparks, darüber scheinen sich in „Kulturpark“ alle einig zu sein. „Es gab hier eine Zeit vor Witte und eine Zeit nach Witte“, erklärt Harald Lowack, der als technischer Leiter von der Gründung 1969 bis zur endgültigen Schließung 2001 im Park beschäftigt war. Er erlebte den Boom im Sozialismus und den Niedergang im Kapitalismus. „Norbert Witte hat den Angestellten und Schaustellern nach der Wende mit dem Spreepark eine Zukunft versprochen, ohne eine Mark in der Tasche zu haben“, erzählt Lowack, ohne seinen Ärger verstecken zu können. Auch Rolf Deichsel ist nicht gut auf Witte zu sprechen: „Es wurde uns gesagt, dass wir Privaten übernommen werden, aber daraus wurde nichts.“

„Es gibt Stellen in dem Film, die sollen bewusst wehtun.“ Weinland wählt seine Worte mit Bedacht aus. „Schließlich sind da zwei Welten aufeinander geprallt.“ Der Film „Kulturpark“ macht Gegensätze sichtbar, Gegensätze zwischen Ost und West, zwischen dem Milieu, aus dem Norbert Witte stammt, und den Angestellten und Schaustellern des Kulturparks.

„Ursprünglich sollte auch Herr Witte selbst im Film zu Wort kommen“, erklärt Weinland, „aber als er inhaftiert wurde, war das nicht mehr möglich.“ Im November 2003 tauchte Norbert Witte ganz unerwartet, aber wie immer mit Schlapphut, Rolex und flotten Sprüchen noch einmal in Deutschland auf. Der Versuch, in einem „Fliegenden Teppich“ 167 Kilogramm Kokain von Peru nach Deutschland zu schmuggeln, missglückte. Er musste für 7 Jahre ins Gefängnis.

Am riesigen Stahlgerüst hängen die dunkelroten Gondeln in einer nahezu unheimlichen Stille. Vor der Bahn türmen sich ein paar von den Gondeln auf einem Müllberg. Der Nieselregen hält an. „Kulturpark“ zeigt ein Stück deutsche Geschichte, erzählt am Beispiel eines Vergnügungsparks. „Den Mikrokosmos Kulturpark kann man auch aufs große Ganze beziehen“, meint Weinland und fügt hinzu: „Ich mag die Langsamkeit, die dadurch entsteht. Es spielt sich alles im kleinen Kreis ab.“ Langsam ist auch der Film. Keine schnellen Bilderwechsel und die ungekürzten Pausen in den Interviews haben ihre Wirkung. Die Enttäuschung und die Wut der Betroffenen wird deutlich spürbar. Am Ende bleibt man selbst auch ein wenig fassungslos zurück, so wie die, die von ihrem Kulti im Osten und der Hehlerei aus dem Westen erzählen.

„Kulturpark – Korruption, Karussells und Kokain“ wird auf dem Berliner Filmfestival „achtung berlin“ am 15. 4. um 20.15 Uhr im Hackesche Höfe Filmtheater gezeigt (www.achtungberlin.de)