: Dumm, dümmer, Dumping
Die Angst vor „Billigarbeitern“ aus den EU-Beitrittsländern hat einen Namen: „Sozialdumping“. Helfen sollen Mindestlöhne. Aber das Phänomen ist auf allein nationaler Ebene nicht zu entschärfen
VON CHRISTIAN SEMLER
Dumping bedeutet im ursprünglichen Wortsinn: Abfall abladen. Im Reich der Ökonomie wird der Begriff zur Metapher. Er bezeichnet Praktiken, mittels deren in der internationalen Konkurrenz der Preis von Waren „künstlich“ niedrig gehalten wird.
Internationale Vereinbarungen gegen Dumping, wie sie sich beispielsweise in der EU finden, erheben den Anspruch zu definieren, was „künstlich“ niedrig gehaltene Preise sind, was „fair“ ist im Sinne gleicher Ausgangsbedingungen. Nach der Ideologie dieser Organisationen steht also das Anti-Dumping-Recht nicht im Widerspruch zum Prinzip des Freihandels. So weit die Theorie. Da in der Praxis ständig der Versuch unternommen wird, Dumping-Vorwürfe zu erheben, um die eigenen Produkte mittels Strafzöllen auf Importe zu schützen, betreten wir hier ein vermintes Gelände.
Die internationalen Anti-Dumping-Bestimmungen beziehen sich nur auf Waren. Außen vor bleiben die Formen des Dumpings, die jetzt im Fokus des öffentlichen Interesses stehen: Lohn- und Sozialdumping. Was ist darunter zu verstehen? Bei der Anwendung von Gefangenen-, Sklaven- und Kinderarbeit greifen (in der Theorie) völkerrechtlich wirksame Verbote. Wie aber steht es mit Niedriglöhnen und fehlenden Sozialleistungen, die das Ergebnis nachhinkender ökonomischer Entwicklung oder schwacher gewerkschaftlicher Gegenmacht sind?
Zum Wohle aller Seiten
Aus dem Blickwinkel der ostmitteleuropäischen Beitrittsländer handelt es sich hier um legitime Vorteile, die sich aus der Logik der kapitalistischen Produktion ergeben. Sie folgen aus dem Prinzip der „komparativen Kosten“. David Ricardo, ein bedeutender englischer Ökonom des 19. Jahrhunderts, hat aus diesem Prinzip abgeleitet, dass sich in jedem Land die Unternehmer auf die Produktion derjenigen Güter konzentrieren sollten, die sich mit relativ niedrigerem Kostenaufwand herstellen lassen. Alle beteiligten Seiten würden unter den Bedingungen des Freihandels hiervon profitieren.
Ein Verschleierungsbegriff
Deshalb ist für Politiker und Ökonomen aus den EU-Beitrittsländern „Sozialdumping“ lediglich ein Verschleierungsbegriff, mit dessen Hilfe Besitzstandswahrung betrieben und die Aufholjagd der östlichen Ökonomien behindert werden soll.
So weit, so unangenehm für die deutschen Beschäftigten von westlichen Unternehmen, die „komparative Kostenvorteile“ (Ricardo) nutzen und ihre Fabriken in den Osten verlegen – oder für ihre Exportprodukte Komponenten aus Billiglohnländern finden, was sie international erst konkurrenzfähig macht. Solche Überlegungen mögen ökonomisch korrekt sein, scheren sich allerdings nicht um Auswirkungen auf die gesellschaftlichen Verhältnisse in den entwickelten EU-Ländern.
Tatsächlich gewinnt der Begriff des „Sozialdumpings“ jetzt eine neue Dimension. Denn die Unternehmer in den „alten“ EU-Ländern folgen selten dem von Ricardo gewiesenen Weg der Spezialisierung. Stattdessen nutzen sie den Druck der Billiglohnländer zur „täglichen Erpressung“ ihrer eigenen abhängig Beschäftigten und zu einem Generalangriff auf deren Lohn- und Sozialstandards. Gesetzliche Maßnahmen bleiben unwirksam, solange sich den Unternehmern, besonders in grenznahen Bereichen, die Alternative der Betriebsverlagerung bietet.
Auch ist die Hoffnung unbegründet, mit der Steigerung des Sozialprodukts in den Beitrittsländern werde sich das Lohnniveau wie die Sozialleistungen angleichen. Einen solchen Automatismus gibt es nicht, da hilft auch keine EU-Richtlinie.
Deshalb besteht der einzig Erfolg versprechende Weg darin, die internationale Zusammenarbeit der Gewerkschaften und damit deren Kampfkraft zu stärken. Hierfür gibt es in den Grenzgebieten erste Ansätze. Da aber die Gewerkschaften nach wie vor im nationalen Rahmen operieren, wird hier wohl noch ein steiniger Acker gepflügt werden müssen.