Aus dem Futter genommen

THEATER BREMEN Von den Bremer Stadtmusikanten zu den Joblosen ab 50 heute – den Bogen schlägt das Stück „AltArmArbeitslos“ von Volker Lösch

Einer der Lieblingssätze von Ursula von der Leyen lautet: „Die Älteren sind die Gewinner des Arbeitsmarkts.“ Seit fast zwei Jahren wiederholt sie ihn nun schon, bei jeder Gelegenheit, gestützt aufs Wachstum der Erwerbstätigenquote dieser Alterskohorte, aber ohne sich darum zu scheren, wie ihre Diagnose bei der Mehrheit jener Generation 50 plus ankommt. Die muss sich nämlich als Verlierer des Arbeitsmarkts sehen.

„Die Älteren sind die Gewinner des Arbeitsmarkts“ – diesen Satz „muss man als Zynismus ansehen“, sagt der Regisseur Volker Lösch. Mit „AltArmArbeitslos – Die Bremer Stadtmusikanten“ geben Lösch und die Dramaturgin Barbara Seidel am Theater Bremen eine sehr entschiedene Antwort: Seidel hat dafür die Erfahrungen von 19 Bremer Joblosen jenseits der 50 protokolliert. Die bilden auch, unter Zellstoffmasken, die vier Chöre (Esel, Hunde, Katzen und Hähne), jeweils angeleitet von einem Profi aus dem Ensemble.

Zunächst erleben sie zu den festlichen Klängen einer Purcell-Ouvertüre die Wonnen des Bürolebens, prächtig choreografiert, in einem Guckkasten in der Hinterbühne, vor den sich schließlich unerbittlich eine eiserne Wand senkt. Jetzt sind sie rausgeflogen. Einer nach dem anderen drängt auf die Rampe, und einer der Esel erzählt, wie er aus dem Futter genommen werden sollte. Dann tobt die doppelte Ursel über die Bühne, eine grelle Karikatur der Arbeitsministerin, simultan dargestellt von einem Schauspieler und einer Schauspielerin, in hellblauem Bürokostüm und mit dem prallen Leibe einer vielgebärenden bundesrepublikanischen Fruchtbarkeitsgöttin. Die Kostümträgerinnen drücken den noch nicht Alten, aber Älteren, Qualifikationsmaßnahmen auf, wie die im Erwerbsleben unverzichtbare Nachschulung im Hopsballhopsen. Zugleich rezitieren sie die einschlägigen Passagen aus dem Zweiten Sozialgesetzbuch, um an die Pflicht zur Teilnahme zu erinnern.

Zugegeben, die Komik ist recht brachial und reichlich schrill. Aber sie setzt damit einen sinnvollen Kontrapunkt. Denn an diesem Abend überwiegen die dunklen Töne der Melancholie: Im Grimmschen Märchen, wenigstens bis die vier Weggefährten einander gefunden haben. Erst recht in Heiner Müllers hochlyrischer Herakles-Reflexion aus dem Stück „Zement“, das Lösch mit einarbeitet. Aber noch viel tiefer ist das Schwarz der erfahrungssatten Sätze, die von Mitgliedern des Bürgerchors stammen. In ihnen spricht sich aus, welche Entwürdigungen, Kränkungen und Verzweiflungen das Altwerden in Deutschland mit sich bringen kann. „Meine Tochter sagt zu mir: wozu hast du Essen im Kühlschrank / du brauchst doch gar kein Essen / wer nicht arbeitet / muss nicht essen“. Oder jene Aussage einer Mutter, deren Kinder ausgezogen sind, und die nun droht, zu vereinsamen: „Ich hab ganz doll Angst / dass ich nie wieder Arbeit bekomme“.

Allianz der Nutzlosen

Komisch, dass schon die Märchenfiguren, in denen Eugen Drewermann eine „Allianz der Nutzlosen“ erkannt hat, ausgerechnet nach Bremen pilgern: Die Stadt ist in jeder Hinsicht der ideale Ort für diese Produktion. Nach wie vor ist ihre Arbeitslosenquote zweistellig, besonders ältere Menschen trifft es überproportional häufig, und mehr als einmal haben hier sich ansiedelnde Firmen Millionen vom Gemeinwesen abgegriffen – mit Beschäftigungsgarantien, die dann nicht eingehalten wurden.

Hinzu kommt, dass auch das Ensemble des Bremer Theaters betroffen ist. Nachdem ein vermeintlicher Renommier-Intendant mit tollen Marketingideen eine Schuldenexplosion des Theaters verursacht hatte, wurde er geschasst und durch ein Team von Dramaturgen ersetzt. Die hatten einen vielversprechenden Ansatz, waren aber leider nur ein Interim. Ein neuer Intendant kommt in der nächsten Spielzeit – und, so ist das Bühnenleben: Er übernimmt nicht alle. Auch das wird angesprochen. „Ich habe eine Scheißangst vor dem, was da kommt, ab August“, sagt Eva Gosciejewicz. Sie hätte sich von der letzten Spielzeit in Bremen eine große Rolle erhofft „vielleicht die Maria Stuart. Und jetzt sprech ich im Chor bei Lösch.“

Das hat, in einem guten Sinne, Pathos: Antworten wird man vom Theater nicht erwarten können. Gleichwohl gelingt Lösch und seinem Team in ihren stark reduzierten Bildern mehr, als nur ein Problemfeld zu bestimmen: durch die individuelle Wertschätzung, die ihre Mitarbeit an der Produktion für die Erwerbslosen bedeutet. Sie sprechen von „Befreiung“. Die Stadtmusikanten der Brüder Grimm verjagen am Ende die Räuber, die Spieler auf der Bremer Bühne bemächtigen sich der Insignien der neuen Arbeitswelt, Tisch, Bürostuhl, Rechner und Plasmabildschirm, und zerlegen sie – mit Faustschlägen, Fußtritten, Axthieben. Mit der Kraft ihrer Wut. BENNO SCHIRRMEISTER