: Die Wiederkehr der Eismacher
KÜHLUNG In Hamburg sind zahlreiche neue Eisdielen mit szenigen Namen eröffnet worden. Mit eigener Herstellung, fantasievollen Kreationen und erlesenen Zutaten haben sie den Markt revolutioniert. Traditionelle Eiscafés geraten unter Druck
VON KNUT HENKEL
Seine erste Eismaschine hat Hilmar Jaedicke nach einer Anleitung von Fernsehbastel-Ikone Jean Pütz als kleiner Junge selbst gebaut. Närrisch nach Eis ist er zeitlebens geblieben, doch er hat den Umweg über das Industriedesign gebraucht, um seine Leidenschaft zum Beruf zu machen. Heute hat er einen eigenen Eisladen. In einem gläsernen Labor können die Kunden „Eis-Hilmar“ dabei zusehen, wie er an zwei Eismaschinen die delikatesten Kreationen mischt.
Jaedicke steht für einen Trend in der Hamburger Eisdielenszene. Neben Kreativität, die sie sich in pfiffigen Namen wie „Die Eisheiligen“, „Eiszeit“ oder „Liebmilch“ niederschlägt, steht dabei die Qualität im Mittelpunkt. Unter den Eismachern geht es teilweise zu wie unter Sterneköchen, denn den Experimenten im Eislabor sind keine Grenzen gesetzt. Das mag ein Grund dafür sein, dass Discjockeys die Turntables mit der Eismaschine vertauschen und Industriedesigner köstliche Eissorbets über den Tresen reichen.
Als Pionier des Wandels darf Franz Hansert gelten. Zehn Jahre alt wird sein Laden „Eisliebe“ in Ottensen im nächsten Jahr. Die Kundschaft steht vor der Tür in der Regel Schlange. Manche Kunden kommen täglich, um sich ihre Ration in der Waffel abzuholen.
Hansert macht täglich frisches Eis und das variiert mit der Jahreszeit. So ist Holunderblüteneis seit Anfang Juni nicht mehr zu haben, weil Holunder ausgeblüht hat. Da muss der Eismacher mit dem grauen Haarkranz und den munter funkelnden Augen schon mal die Kunden trösten.
Als engagierter Eisesser kann Hansert den Frust gut verstehen. Der Chef gönnt sich gerne selbst eine Leckerei. Frisches Erdbeereis, etwas Vanilleeis und ein Hauch Sahne ist derzeit seine Nummer Eins. Auch das eigene Milchreiseis zählt zu seinen Favoriten. Allerdings geht der 54-Jährige auch liebend gern zur Konkurrenz, um deren neueste Kreationen zu probieren.
„Viel Bewegung hat es in den letzten Jahren auf dem Hamburger Speiseeismarkt gegeben“, sagt Hansert. Viele neue Betriebe seien entstanden. Der Einfluss italienischer Eissalons gehe zurück. Dass deren Vormachtstellung bröckelt, daraus macht auch die Union der italienischen Speiseeishersteller (Uniteis) kein Geheimnis. Den italienischen Eiscafés fehlt der Nachwuchs, denn die Kinder wollen immer seltener in die Fußstapfen der Eltern treten und zwischen März und November in Deutschland am Eistresen stehen.
„Das Leben zwischen Elbe und Dolomiten ist längst nicht mehr attraktiv und daraus wird auch auf der wichtigsten Eismesse in Lungarone kein Hehl gemacht“, sagt Iris Bohlen von der Eisbande. Im vergangenen November hat sie die Messe besucht. Auch jenseits des Brenners sei die Stimmung nicht die Beste berichtet sie. Innovative Konkurrenz à la Eisliebe oder Eisbande laufe den traditionellen Cafés nicht nur in Hamburg den Rang ab.
In der Hansestadt ist die Veränderung inzwischen unübersehbar. Rund um das Schulterblatt sind vier von fünf Eisdielen in jüngster Zeit entstanden. In italienischer Hand ist keine. Für die Newcomer ist das Schildchen „aus eigener Herstellung“ beinahe obligatorisch, weshalb so mancher eingesessene Betrieb ins Schwitzen kommt.
Die eigene Herstellung von A bis Z ist nämlich beileibe keine Selbstverständlichkeit. Von den 9.000 Eiscafés, die es laut Statistik in Deutschland gibt, produziert nur ein Drittel sein Eis selbst. Und auch bei diesem Drittel trifft das „aus eigener Herstellung“ nur partiell zu. Eissalons, die mit vorproduzierter Eisbasis hantieren, gibt es genauso wie solche, die das Industrieprodukt aus der Tüte nur verfeinern und abrunden. Der Begriff „aus eigener Herstellung“ ist nicht geschützt, so dass Eismacher mit Anspruch nicht gut auf nicht ganz so puristische Konkurrenz zu sprechen sind.
Die Eisbande, die vor drei Jahren den gleichnamigen Salon im Schanzenviertel eröffnete, gehört dazu. Hier komme kein Pulver an die Waffel und im Eislabor werde kräftig experimentiert, versichert Betreiberin Iris Bohlen. Derzeit tüfteln sie und ihre Kollegen vorwiegend an Sojaeis, einer Spezialität des Hauses, die immer stärker gefragt ist. Demnächst soll „Weiße Schokolade“ als neue Sojasorte in der Vitrine auftauchen.
Dort gibt es ohnehin schon ein breite Auswahl: Mohn-Kirsch, Lakritz, Ananas-Lassi und Banane werden neben den Klassikern Erdbeer, Vanille und Schokolade und den Soja-Kreationen angeboten. Weil die Eisdamen im Labor keinen Farbstoff unterrühren, ist bei der Eisbande das Bananeneis nicht knallgelb, sondern grau.
Täglich wird neu produziert und je nach Laune und Verfügbarkeit der Zutaten aus einem Fundus von knapp achtzig Rezepten ausgewählt. „Probieren ist Pflicht“, sagt Eisfachfrau Bohlen. Gutes Eis müsse satt machen. „Das ist bei der Verwendung guter Zutaten die logische Folge“, glaubt sie.
Gute Zutaten sind auch für Hilmar Jaedicke entscheidend. „Mindestens 25 Prozent Fruchtanteil muss ein eiskaltes Sorbet enthalten“, fordert der Ottenser Eis-Pionier und zieht wie zur Betonung die Augenbrauen hinter der randlosen Brille in die Höhe. Sein Eislabor stellt selbst die kleinen karamellisierten Zuckersplitter für die Creme Brûlée her. Statt auf fertige Schokolade zu setzen, kauft Jaedicke Kakaomasse, um seinem Eis den letzten Kick zu verpassen.
Eis-Hilmar verarbeitet ausschließlich Bioprodukte – von der Sauerkirsche bis zum Thymian-Honig. Das hat seinen Preis, denn mit 1,20 Euro pro Kugel ist der Gourmet an der Eismaschine nicht gerade günstig. Allerdings lässt so ein Eissorbet mit dreißig bis vierzig Prozent Fruchtanteil den Gaumen jubilieren. Das wissen die Kunden in der Waitzstraße zu schätzen und die Nachfrage steigt derart, dass sich Eismacher Jaedicke derzeit nach einem neuen Eislabor umschaut, um den Bedarf auch zukünftig zu decken. Bio-Eis liegt im Trend und auch die ersten italienischen Eisdielen werben mit dem Einsatz von Bio-Milch. Der Umbruch am Eistresen ist in vollem Gange.