: Mehr Platz für Emotionen
METAMORPHOSE Aus dem Hamburger Rapper Denyo 77 wird der Berliner Liedermacher Dennis Lisk. Auf seinem neuen Album ist von Fernweh und Heimatgefühlen gleichermaßen die Rede
VON THOMAS WINKLER
Beanie ist aufgeregt. Rennt rein und raus, fläzt sich auf die Ledercouch, gähnt und ist schon wieder unterwegs in den Bürofluren der Plattenfirma. „Kann nicht umgehen mit dem Druck“, lächelt Dennis Lisk und tätschelt seinen nervösen Vierbeiner, um ihn zu beruhigen.
Vor allem im Vergleich zu seinem Irish-Setter-Mischling macht der Hundebesitzer selbst einen extrem entspannten Eindruck. Grund dazu hat er gar nicht, plant er doch ein gewagtes Experiment: Er gibt einen eingeführten Markennamen auf, um in unbekanntes Terrain vorzudringen. Aus Denyo, dem Hamburger Rapper, der mit den Beginnern an der Spitze der Charts stand, wird nun Dennis Lisk, der Sänger. Lisk, der seit zwei Jahren in Berlin lebt, versucht nun ausgerechnet als Liedermacher zu reüssieren.
„Der Begriff Liedermacher mag altbacken sein“, sagt Lisk, „aber er trifft ziemlich exakt das, was ich jetzt mache.“ Denn das ist „eben nicht die Neuerfindung des Rads“, sondern nun mal Lieder. Zu hören sind sie auf „Suchen & Finden“, dem ersten Album unter seinem bürgerlichen Namen.
Watteweicher Pop
Es sind Lieder mit Strophe und Refrain, mit akustischen Gitarren und stimmungsvollen Streichern, mit eingängigen Melodien und watteweichen Arrangements. Die Gitarre, meist akustisch, dominiert. Nur selten setzt eine gesamte Band ein, noch seltener ergänzen Bläser den Gesamteindruck. Es ist, seien wir ehrlich, recht unmoderne Popmusik: Zwar nicht unbedingt rustikal, aber halt handgemacht, weitgehend unbeleckt von irgendwelchen elektronischen Ideen, und vor allem mit viel Platz für die Gefühle des Interpreten. Vor allem das mit den Gefühlen ist wichtig, um die vollzogene Wandlung verstehen zu können. Denn „Rap bietet momentan keinen Platz für Emotionen“, findet Lisk.
Eingeleitet hat er diesen auch für ihn selbst „radikalen Schnitt“ schon vor ungefähr drei Jahren. Die Liebe zum HipHop war erkaltet, auch weil die eigenen Soloversuche neben den Beginnern keinen großen Erfolg gefunden hatten.
Während der Bandkollege Jan Eißfeldt als Jan Delay mit Reggae und Funk abräumte, war der die guten alten Hamburger Traditionen hochhaltende Rap von Denyo 77 zwei Alben lang erstaunlich wenig gefragt. Vor allem wohl deshalb, weil er introspektiv, eher unmännlich und von Wortspielen geprägt, in einem veränderten Klima, in dem Berliner Härte und Porno-Rap die Charts stürmten, nicht mehr zeitgemäß wirkte. Denyo wurde, wenn man so will, ein Opfer der im deutschen HipHop ausgebrochenen Kraftmeierei.
Von diesem Rap fühlte sich Lisk „zu sehr eingeengt“, hob den Blick über die Genregrenzen und stellte dabei fest, dass „es ziemlich viele schöne Melodien gibt auf der Welt“. In die hat er nun seine neuen Texte verpackt: Sie handeln von Fernweh und Heimatgefühlen, vom Loslassen und Wegfahren, von Erwartungen und Enttäuschungen. Nur in ihrem feinen Umgang mit den Worten erinnern sie weiter an die Raps des vorerst zu den Akten gelegten Denyo.
Aber um zu unterstreichen, dass es ihm ernst ist mit dem musikalischen Wandel, hat er das alte Pseudonym durch den Namen ersetzt, den ihm seine Mutter gegeben hat: „Und vor allem hatte ich keinen Bock darauf, dass die Leute immer nur ‚Liebes Lied‘ von mir hören wollen.“
Dieser größte Hit der Beginner, die damals noch die Absoluten hießen, hat den deutschen Rap am Ende des vergangenen Jahrhunderts dauerhaft in den oberen Regionen der Charts etabliert. Und wohl auch dazu beigetragen, Deutschland zu verändern.
Der kommerzielle Erfolg der im Gegensatz zu den Fantastischen Vier multikulturellen Rap-Truppe aus Hamburg half auch der Bundesrepublik auf die Sprünge, endlich ihre Wirklichkeit als Einwanderungsland anzuerkennen. Elf Jahre später wundert sich niemand mehr über Rapper mit arabischen Wurzeln in den Top Ten und deutsch-türkische Spitzenkandidaten. Eine Veränderung, die auch der Afrodeutsche Lisk auf seinem Album aufmerksam registriert.
Raus aus dem Rap-Ghetto
In „Gerne hier“ formuliert Lisk ein neu gefundenes Gefühl, dem auch der Hamburger Rap-Kollege Samy Deluxe breiten Raum einräumte: „Dieses Land ist nicht mein und mir, aber ich bin ganz gerne hier / Es reicht nicht zum Du und reicht nicht zum wir / Aber ich bin ganz gerne hier“. Er habe gelernt, sagt Lisk, und da seien seine und Samys Erfahrungen wohl ähnlich, „dass gewisse Kritikpunkte auch überzogen waren“. Natürlich sei Rassismus in Deutschland weiter virulent, „aber ich persönlich nehme meine Hautfarbe nicht mehr wahr“.
Wegen solcher Texte kann man „Suchen & Finden“ vielleicht keine politische, aber doch eine politisch relevante Platte nennen. Auf jeden Fall aber begründet Lisk eine neue Tradition: Er dürfte der erste deutsche Liedermacher mit dunkler Hautfarbe, vielleicht sogar der erste mit einem eindeutig Migrationshintergrund sein.
Und auch wenn Lisk die Lieder von Vorgängern wie Franz Josef Degenhardt oder Hannes Wader noch nie gehört hat, bezieht er sich bewusst zumindest auf deren ideelle Hinterlassenschaften – und wenn auch nur, um offensiv aus dem für ethnische Randgruppen reservierten Ghetto HipHop zu treten: „Es ist mir wichtig zu zeigen, dass ich ein ganz normaler Deutscher bin.“
Was nicht heißt, dass Rap nicht wieder ein Thema werden könnte. Seine erste Liebe vergisst man schließlich nicht. Und die Beginner sind nicht aufgelöst, der Kontakt immer noch vorhanden. „Es spricht nichts dagegen, in ein paar Jahren wieder ein gemeinsames Album zu machen“, sagt Dennis Lisk und streichelt seinen Hund, der sich nun endlich ein bisschen beruhigt hat. „Die Frage ist nicht ob, sondern nur wann.“
■ Dennis Lisk: „Suchen & Finden“ (Four Music/Sony)
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