Ein Kölsch fürn Euro auf das Schicksal

Kölns „inoffizielle Außenstelle der Agentur für Arbeit“ schenkt Kölsch aus und serviert Frikadellen – und alles zum Einheitspreis von einem Euro. Der Kneipier von „Hartz IV“, Peter Kaufmann, freut es, so günstig wie möglich, aber nicht billig zu sein

Von CLAUDIA LEHNEN

Dieter und Thomas haben direkten Thekenblick. Bei „Hartz IV“ am Quartermarkt hat jeder freie Sicht auf Bierfass und Doppelkorn. „Wir haben das extra so gebaut, das ist kommunikativer“, sagt Peter Kaufmann, der die „inoffizielle Außenstelle der Agentur für Arbeit“ Ende März mitten in der Kölner Altstadt eröffnet hat. Die Einrichtung der neuen Kneipe, die täglich von 10 bis 22 Uhr geöffnet hat, ist einfach, das Konzept auch. Alles kostet einen Euro: die Frikadellen, der Lachs, ein Napf Suppe, das Bier, der Schnaps hinterher. Auf der dunklen Holzbank sitzend, fasst sich Dieter an die Schirmmütze und zieht sie ein wenig tiefer in die Stirn. Dann fixiert er wieder Stuhlbeine, Fußbodenfliesen, die Schuhe der wenigen anderen Gäste.

Peter Kaufmann, 59 Jahre alt, lächelt breit. Wie ein ergrauter Fußballer, der auf seine alten Tage noch einmal Torschützenkönig geworden ist. Er lehnt am selbst gezimmerten Stehtisch, die Hüfte hat er in den Raum gereckt. Ja, die Reform des Arbeitsmarktes zu kritisieren, sei ihm ein Anliegen. „Zu uneffektiv“, zu wenig orientiert am Menschen. Aber es war nicht der kritische Geist, der Kaufmann antrieb, es „noch einmal zu versuchen“. Vielmehr war es die Lust am Sich-Aufbäumen, wenn „die anderen dich schon abgeschrieben“ haben. „Ich wollte den alten Köppen beweisen, dass es noch geht“, sagt der frühere Besitzer der Kölner Jazz-Kneipe „Em Streckstromp“.

Unter den zwölf Aposteln und Jesus beim Abendmahl, die an der Kneipenwand das „Arbeitsamt Köln“ darstellen sollen, sind Dieter und Thomas in Streit geraten, wer nun seine Geschichte in aller Ausführlichkeit zum Besten geben darf. „Du bist nicht dran, du Pfeife“, bellt Dieter mit der Schirmmütze. Sein Nebenmann blickt lachend durch die dick gerahmten Brillengläser und beugt sich über sein Kölsch.

Wer hier sitzt, hat eine lange Geschichte zu erzählen. Jetzt ist Dieter dran. Er erzählt von seiner Vergangenheit, von seiner Gegenwart, die er „Schicksal“ nennt. Von seiner Zukunft erzählt er nicht. Mit 64 Jahren, kurz vor der Rente, „hat mich jetzt tatsächlich Hartz IV“. Wenn Dieter seine Geschichte strafft, damit Thomas sie nicht allzu oft mit seinen Einwürfen „versaut“, drängeln sich die Worte auf seinen Lippen, purzeln dann gleichzeitig oder in falscher Reihenfolge aus seinem Mund. Elektromeister war Dieter. „Unternehmer“, wie er sagt. Über irgendwelche Stolpersteine im Finanzamt muss er gestürzt sein. „Mir wurde Unrecht getan“, versichert er. Seine blassblauen Augen blicken beschwörend. Die Schirmmütze ist verrutscht und gibt den Blick auf eine hohe Stirn frei.

Thomas poltert Dieter mit schmutzigen Witzen in die Parade. Die Gehässigkeiten sitzen wie erwartete Wasserbomben, von deren Treffsicherheit Dieter dann doch überrumpelt ist. „Du Idiot, halt doch deine Schnauze!“ Dieter packt sein Glas und rutscht zwei Plätze weiter. Den Blick zur Theke nimmt er mit.

Peter Kaufmann schlichtet immer mal wieder zwischen den Streithähnen. Die gute Stimmung können dem gelernten Schreiner auch raue Töne nicht vermasseln. Er freut sich über seine Idee, „so günstig wie möglich, aber nicht billig“ zu sein. Gespart wurde in der Kneipe vor allem an der Einrichtung. „Der ganze Laden ist ein LKW voller Sonderangebote vom Baumarkt“, sagt Kaufmann. Keine moderne Zapfanlage spendet das Bier – es sprudelt direkt aus dem Fass in Einheitsgläser. Energiesparlampen sparen 1.200 Euro im Jahr. Aber auch beim täglichen Einkauf wird geknausert. „Wir kaufen beim Discounter, nicht beim teuren Großhändler.“

Kaufmann legt die Karten auf den Tisch, während Walter Bitzinger, sein Geschäftsführer, nervös mit den Nasenflügeln flattert. „Das musst du doch nicht alles sagen“, flüstert er halblaut, sein Blick huscht unstet herüber. Bitzinger muss in Zukunft die Fäden in der Hand halten, auch wenn er nicht so aussieht, als käme diese Position seinem Naturell entgegen. Schüchtern und behutsam schiebt er ein Bierglas auf den Tisch. Denn sein Freund Kaufmann hat mit seinem Beruf als Wirt, den Geschichten frustrierter Arbeitsloser, ja mit ganz Deutschland längst abgeschlossen. Das nächste Kapitel heißt Ferienwohnungen in Kambodscha, und Kaufmanns Augen funkeln, wenn er daran denkt, dass er noch in diesem Monat „weg“ ist. Seine „Flucht“ hält Kaufmann für seinen pfiffigsten Coup überhaupt. „Dieses Land wird noch in ein großes Loch fallen. Jeder der schlau ist, verpieselt sich.“

Dieter wird bleiben. Jeden morgen um zehn Uhr steht er bei „Hartz IV“ auf der Matte. Auch wenn jemand wie Thomas ihn piesackt. Auch, wenn er sogar hier darum kämpfen muss, „endlich dran zu kommen“. Schließlich habe er hier immer noch am meisten zu lachen. „Sonst ist es ja nicht sehr lustig unter Hartz IV.“ Dieter sitzt auf der Holzbank, den Rücken zur Wand, als würde er auf den Bus warten, der ihn hier rausholt.