: Friedhofsruhe in Nordspanien
Am Sonntag wählen die Basken ein neues Parlament. Die Nationalisten haben daraus eine Abstimmung über die Autonomie gemacht – und paktieren unheilvoll mit der ETA
Früher als vorgesehen wählen die Basken am Wochenende ihre neue Landesregierung. Die Wahl steht ganz im Schatten des „Ibarretxe-Plans“, in dem der Chef der baskischen Regierung, Juan José Ibarretxe, Anfang des Jahres die Unabhängigkeit des Baskenlands von Spanien gefordert hatte. In das Madrider Parlament eingebracht, wurde er dort abgelehnt – und hat doch einen riesigen Schaden angerichtet. Unter dem Vorwand, das baskische Autonomiestatut zu ändern, sollte die gesamte spanische Verfassung geändert reformiert werden, zu Ungunsten des Zentralstaates. Nachdem der Plan gescheitert ist, funktionieren die Nationalisten, vor allem die konservative „Nationalistische baskische Partei“ (PNV), die Autonomiewahlen zu einer Abstimmung über ihren Verfassungsangriff um.
Es mutet schon extravagant an, wenn in Westeuropa, 27 Jahre nach dem Übergang Spaniens von der Diktatur zur einer Demokratie, von einem autoritären Zentralstaat zu einem dezentralisierten Rechtsstaat, ein kleiner Teil der Bevölkerung die Unabhängigkeit fordert.
Diese Forderung spaltet die baskische Gesellschaft, ohne dass die baskischen Nationalisten dies wahrnehmen würden. Wie alle Nationalisten denken sie nur an den nationalistischen Teil der Bevölkerung. Sie glauben, dass der Plan notwendig ist, um die eigene Wählerschaft zu mobilisieren. Dabei interessiert es sie nur wenig, dass die politische Instabilität und die Ablehnung des Planes in Madrid den Terrorismus fördern. Die nationalistische PNV gibt der Terrororganisatin ETA gar eine Argumentationshilfe für ihre Gewalt, indem sie ständig von „der Blockadehaltung des Zentralstaates“ spricht. ETA hat knapp tausend Menschen ermordet und im Baskenland eine Friedhofsruhe geschaffen. Der Teil der baskischen Gesellschaft, der nicht mit den Nationalisten übereinstimmt, hat Angst, dies öffentlich zu sagen. Die PNV, einst eine christdemokratische Partei, interessiert es nur wenig, dass ein großer Teil der baskischen Gesellschaft nicht frei leben kann.
Es wäre allerdings falsch zu glauben, dass die PNV diese radikale Politik macht, um ETA zu begünstigen. Sie versucht damit vielmehr, ihre eigene regionale Machtbasis zu erhalten. Was wäre dazu besser geeignet als die ständige Opferrolle: „Madrid versteht uns nicht“ und „Madrid unterdrückt uns“. Damit versucht die PNV die Stimmen zu bekommen, die durch das Verbot von Batasuna heimatlos geworden sind. Die ETA-nahe Partei wurde verboten, weil sie sich immer wieder weigerte Mordanschläge zu verurteilen. Oft saßen die Opfer im gleichen Gemeinderat oder im gleichen Parlament wie die Verantwortlichen von Batasuna. Sie gehörten eben nur der „falschen“ Partei an.
Die PNV, Vertreterin des gewaltlosen Nationalismus, musste in den letzten Jahren mit ansehen, wie eine allmähliche Normalisierung der politischen Lage im Baskenland mit einem langsamen Verlust an Wählerstimmen für das nationalistische Lager einherging. Auch wenn der Terrorismus in den 90er-Jahren weiterging, machte sich doch der Eindruck von politischer Stabilität breit. Nach einer harten industriellen Umstrukturierung begann die Wirtschaft zu florieren. Große Infrastrukturprojekte wurden umgesetzt. Das kam der baskischen Gesellschaft insgesamt zugute. Es gab keine Spaltung in Nationalisten und Nichtnationalisten mehr. Die politische Stabilität wurde durch den Pakt von Ajurianea noch gestärkt. Darin hatten sich alle demokratischen Parteien verpflichtet, gemeinsam gegen ETA Front zu machen. Dies verdeutlichte die Kluft zwischen den Demokraten und denen, die den Terrorismus unterstützen.
Der Mord an Miguel Angel Blanco, einem Gemeinderat der konservativen Volkspartei (PP), vor acht Jahren änderte alles schlagartig. Überall im Lande gingen insgesamt über eine Million Menschen gegen ETA auf die Straße. Die PNV befürchtete, dass ein Untergang der ETA sich negativ auf den Nationalismus auswirken könnte, und beschloss deshalb, mit den Terroristen zu paktieren. Gleichzeitig brach sie alle Kontakte mit den Sozialisten und der PP ab.
Die neue Politik setzte auf einen Bruch mit der verfassungsmäßigen Ordnung und mit dem Autonomiestatut, die der PNV bis dahin weit gehende Machtbefugnisse in ihrem Teil Spaniens eingeräumt hatte. Das Baskenland hat eine eigene Steuerpolitik, ein eigenes Schulsystem, eine eigene Kulturpolitik, eine eigene Polizei, gesetzgeberische Befugnisse und so weiter. Das Einzige, was sie an der Unabhängigkeit hinderte, ist die Verfassung. Deshalb entwarf die PNV den Plan Ibarretxe.
Man könnte im Scheitern seines Unabhängigkeitsplans eine Niederlage für Ibarretxe sehen. Doch innerhalb der Konfliktdynamik, die die PNV seit 1999 verfolgt, war dies durchaus geplant – das eigene Lager sollte mobilisiert werden. Die PNV strebt nach einem Bündnis aller nationalistischen Kräfte gegen „das historische Unrecht Madrids“.
Trotz alledem ist es nicht einfach, die Logik der Nationalisten nachzuvollziehen, ihre irrationale Haltung zu verstehen. Dies ist nur vor einem ideologischen Hintergrund möglich. Nur so, und mehr noch, wenn es sich um eine totalitäre Ideologie handelt, lässt sich die Tatsache erklären, dass mit dieser Logik Menschen mobilisiert werden können. Die nationalistische Ideologie im Baskenland ist anachronistisch. Dennoch hat sie bis heute überlebt. Sie besitzt eine Kraft, die Anerkennung verdient und Angst macht zugleich.
Der baskische Nationalismus ist ethnisch geprägt. Der Rassismus, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Grundlage des Nationalismus war, wurde im Lauf der Jahre durch ein anderes Kriterium ersetzt. Heute dient die Sprache als Merkmal zur Ausgrenzung. Nur wer Baskisch spricht, besitzt die richtige, baskische Weltanschauung. Die Sprache rückt so an die Stelle des Rassismus. Hinzu kommen historische Mythen. Demnach sind die Basken das älteste europäische Volk, das nie erobert wurde und deshalb besondere Rechte genießt. Diese flossen in die spanische Verfassung ein, in der von den Foralrechten die Rede ist. Das sind die Privilegien, die das Baskenland und die Nachbarprovinz Navarra einst hatten. Die Nationalisten nutzen dies, um ihre „ursprüngliche Souveränität“ zurückzufordern – welche das Baskenland aber nie genoss.
All das – die sehr weit gehende Autonomie mit ihren Privilegien, das anachronistische Geschichtsbild, die Politik der Ausgrenzung mittels der Sprache, was gleichzeitig dazu dient, den Zusammenhalt im nationalistischen Lager zu stärken und die Gesellschaft in zwei Lager zu spalten, die ständige Gewalt, die das Unglaubliche glaubwürdig erscheinen lässt – bestärkt die Nationalisten in ihrer Politik. Sie suchen weiter den Bruch. Diese nationalistische Politik ist ein Wettlauf mit der Zeit, denn der europäische Einigungsprozess könnte die Träume von der Unabhängigkeit bald zunichte machen. Nur so erklärt sich der irrationale Reiz, den der Abgrund auf die Nationalisten ausübt.
EDUARDO URIARTE
Übersetzung aus dem Spanischen von Reiner Wandler