piwik no script img

Archiv-Artikel

Der Mini-Murdoch

Er hat viel Geld und viel Sympathien für Bush: Jetzt ist der US-amerikanische Milliardär Philip Anschutz erfolgreich ins Gratiszeitungs-Geschäft eingestiegen – und alles deutet auf Expansion hin

AUS ST. LOUIS CARLA PALM

Was Philip Anschutz anfasst, gelingt fast immer. Der Ölmilliardär aus Denver im US-Bundesstaat Colorado hat so etwas wie ein goldenes Händchen. In den 70er-Jahren verwandelte er das kleine Öl-Geschäft seines Vaters zum Multikonzern mit Mehrheitsanteilen an Pacific Railroad sowie dem Medienunternehmen Qwest Communications und Regal Cinemas, der größten amerikanischen Kinokette. Der Sportfan ist außerdem bei den LA Lakers beteiligt, besitzt sieben Fußballclubs sowie zahlreiche Sportstadien. Nun schwingt sich der 65-Jährige auch noch zum Verleger mit einer besonderen Vorliebe für Gratiszeitungen auf.

Im vergangenen Jahr gründete Anschutz die Clarity Media Group und kaufte über sie den angeschlagenen San Francisco Examiner, dessen Auflage er innerhalb weniger Monate verdoppelte. Seit Februar versorgt Clarity Media auch Washington, D.C., mit einem neuen Gratisblatt. Der Washington Examiner liegt stapelweise an Bushaltestellen und U-Bahnhöfen in der Hauptstadt aus und wird außerdem an Haushalte in den Nachbarstaaten North Virginia und Maryland verteilt. Etwa 260.000 Exemplare geraten so jeden Tag in Umlauf. Anders als viele andere Gratiszeitungen ist der Examiner kein reines Ankündigungsblatt. Neben lokalen Klatschgeschichten gibt es nationale und internationale Nachrichten und eine Kommentarseite. Damit kratzt der Examiner an etablierten Tageszeitungen wie Washington Post und Washington Times, deren Auflagen schrumpfen.

Wenn sich die Gratiszeitung in Washington durchsetzt, wird Anschutz sein neues Hobby vermutlich ausbauen. Die Namensrechte für den Examiner schützte er sich in 68 weiteren US-Städten. Wann und wo weitere Exemplare erscheinen, ist noch nicht bekannt. „Wir sehen uns überall nach einer passenden Gelegenheit um“, orakelt Ryan McKibben, Vorsitzender der Clarity Media Group. Wer Anschutz persönlich fragen möchte, warum er ausgerechnet jetzt in Gratisblätter investiert: viel Glück. Der Mini-Murdoch, den das Wirtschaftsmagazin Forbes zu den 30 reichsten Amerikanern zählt, gibt keine Interviews. „Man weiß so gut wie nichts über ihn“, schreibt die Atlantic Monthly.

Fest steht, dass in den USA Gratiszeitungen aus dem Boden schießen wie Frühlingsprimeln. Rund 40 neue Titel hat die Newspaper Association of America in den vergangenen fünf Jahren verbucht. Die im Tabloid-Format gedruckten Blätter mit ihren knapp gehaltenen Storys und bunten Info-Grafiken lassen sich schnell nebenbei durchblättern. Reportagen mit Tiefgang findet man dort nicht. Trotzdem wollen viele Verlage dabei sein. Zeitungshäuser wie Gannett oder die Chicago Tribune geben mittlerweile eigene „Free Sheets“ heraus, um neue Leser und Anzeigenkunden anzusprechen. Doch bisher stellen sich erste Erfolge nur langsam ein – drei Jahre gelten als gut bemessene Anlaufzeit, um in die schwarzen Zahlen zu kommen. Das geht nur mit tiefen Taschen, wie Philip Anschutz sie mitbringt.

Über die Motive des Ölbarons wird viel spekuliert. Branchenkenner vermuten, dass er seinen neuen publizistischen Einfluss nutzen wird, um seine konservativen Ansichten zu verbreiten. Anschutz unterstützt in seinem Heimatstaat Gruppen wie „Colorado for Family Values“, die unter anderem gegen die Homoehe kämpft.

Der überzeugte Republikaner finanzierte außerdem Wahlkampagnen von Ronald Reagan, George H. W. Bush, Dick Cheney und John McCain. Zu seiner Anschutz Film Group gehören zwei Produktionsfirmen, die ausschließlich familienfreundliche Filme ohne Sex und Gewalt drehen. Zusammen mit Disney finanziert er derzeit die 150 Millionen Dollar schwere Produktion eines Zeichentrickfilms nach C. S. Lewis’ „The Lion, the Witch and the Wardrobe“, einem Teil der in den angelsächsischen Ländern zum Kanon der religiös inspirierten Kinderliteratur gehörenden „Narnia Chronicles“.

Auch die Kommentare und Editorials in den Anschutz-Blättern sind auffallend Bush-konform. So unterstützt der Washington Examiner den Irakkrieg und stellt sich auch in den Debatten um nationale Sicherheit auf die Seite der Regierung. Seit dem ersten Erscheinungstag fiel aufmerksamen Lesern noch etwas auf: Als einzige Zeitung in Washington porträtiert der Examiner ausgiebig den Fußballverein D.C. United. Der Profi-Club gehört ebenfalls zum Anschutz-Imperium. Der Zusammenhang wurde bislang nicht erwähnt.