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Archiv-Artikel

„Es ging um Spurensicherung“

Kultursenator Thomas Flierl (PDS) verteidigt sein Gedenkkonzept zur Berliner Mauer gegen Kritik von Historikern. Ihm sei es darin vor allem um die Vernetzung der verschiedenen Gedenkorte gegangen

INTERVIEW PHILIPP GESSLER

taz: Herr Flierl, der Historiker Klaus-Dietmar Henke hat Ihnen vorgeworfen, Ihr Gedenkkonzept zur Berliner Mauer sei „sehr SED-frei geraten“, die SED als Täterin werde nicht genannt. Könnte das etwas damit zu tun haben, dass die PDS die Nachfolgepartei der SED ist?

Thomas Flierl: Nein, das hat damit nichts zu tun. Das Konzept benennt sehr klar die Grenzen einer Gesellschaft, die sich einmauern musste. Ich benenne sehr klar die Mauer als einen konstitutiven Bestandteil einer Gesellschaft, die auf Repression nach innen nicht verzichten konnte und ihren Bürgern jahrzehntelang elementare Menschenrechte vorenthielt. Ihr Verdacht ist also unbegründet. Es ist vielmehr eine Sensibilität aufgrund meiner Zugehörigkeit zur PDS, die mich mit dem Mauerthema eng verbindet.

Manfred Wilke vom Forschungsverbund SED-Staat an der Freien Universität Berlin bemängelt, das Konzept vernachlässige „Akteure und Täter“. Außerdem „fehlen die Schlüsselbegriffe demokratischer Erinnerungskultur: Freiheit, Demokratie und Diktatur“.

Das war nicht die Aufgabe. Es ging um die Sicherung der Spuren, die Aktivierung der verschiedenen Orte und deren Vernetzung. Ich habe kein Gedenkstättenkonzept für die Zeit nach 1945 vorgelegt, das sich mit politischer Unterdrückung in der SBZ und DDR beschäftigt hat. Das heißt – und das wurde am Montagabend auch eher positiv aufgenommen – es geht nicht um einen Deutungsanspruch für alle diese Themen. Die Orte müssen aber in einen Kontext gestellt werden, die genau diese Themen aufgreifen. Insofern werden von Historikern überzogene Ansprüche an die historische Darstellung gestellt. Ich möchte einen offenen Rahmen geben, damit die Institutionen diese Themen bearbeiten können.

Beim Lesen stolpert man über die „menschenfreundliche Gesellschaft“ der DDR. Was war da „menschenfreundlich“?

Da haben Sie den Satz nicht zu Ende gelesen und in einen willkürlichen Zusammenhang gestellt. Sie haben nicht gelesen: „Die Mauer war nicht nur das hässliche Äußere einer ansonsten menschenfreundlichen Gesellschaft …“

was war denn nun „menschenfreundlich“?

Das war Ironie. Es gab diese verharmlosende Beschreibung der DDR. Aber weniger in der DDR, sondern in Teilen der westdeutschen Linken. Diese Deutung nehme ich ironisch auf. Sie haben überlesen, dass ich von der Mauer als einem konstitutiven Bestandteil eines Herrschaftssystems spreche, das zu keinem Zeitpunkt auf die Repression nach innen verzichten konnte. Damit ist die vermeintliche Menschenfreundlichkeit negiert.

Gelesen habe ich den Satz. Mir war nur nicht klar, dass das Ironie sein soll.

Dass Sie jetzt da lächerlich darüber hinweggehen, empört mich maßlos. Ich finde diese Art von böswilligem Missverstehen ziemlich anmaßend. Ich bitte Sie, den Text zu Ende zu lesen. Ich teile gerade nicht den Dualismus, dass die DDR nach außen hässlich war und nach innen schön. Wenn Sie diesen Doppelsinn nicht verstanden haben, dann haben Sie Ihre Vorurteile auf mich projiziert, aber nicht genau gelesen.

Ich kann nicht davon ausgehen, dass in einem sonst ironiefreien Papier nur an dieser Stelle Ironie auftaucht. Sie sprechen sich gegen Rekonstruktionen aus – aber sollte man nicht die Mauer mit ihren zwölf Sperrsystemen einmal rekonstruieren, um das Mörderische an ihr besser erkennen zu können?

Das war Gegenstand der Ausschreibung an der Gedenkstätte. Es ist ihr gelungen, durchaus die Tiefenstaffelung darzustellen. Die Einbeziehung des Geländes an der Bernauer Straße soll den tiefen Schnitt und die Tiefenstaffelung deutlich machen. Wie das genau passiert, wird gestalterischen Überlegungen zu überlassen sein. Das wollte ich nicht vorgeben. Meiner Meinung nach sollte man auf naturalistische Rekonstruktionen verzichten, aber das wird im weiteren Verfahren zu prüfen sein. Das heißt nicht, dass man die Spuren nicht nachzeichnet oder etwa durch Fotos die Brutalität des Grenzregimes vergegenwärtigt.