: Die Entdeckung des Sozialen
betr.: „Wahlkampfkoalition für Mindestlohn“, taz vom 12. 4. 05
Sechs Jahre ist es her, dass die kleine Gewerkschaft NGG als eine der ersten politischen Organisationen auch aus ihren Erfahrungen im Hotel- und Gaststättengewerbe heraus die Forderung nach einem gesetzlichen Mindestlohn auf ihre Agenda nahm. Nun hat die Einsicht in der Notwendigkeit, die lohnabhängig Beschäftigten nach unten abzusichern, also auch das konservative Lager erreicht, denn pünktlich zur heißen Phase des NRW-Wahlkampfs entdeckt plötzlich sogar die CDU ihr Herz für den Mindestlohn.
Dummerweise gibt es so viele unterschiedliche Modelle für Mindestlöhne, dass ein solches Bekenntnis erst einmal vollkommen unschädlich bleibt: Erleichterung der Allgemeinverbindlichkeitserklärung von Branchen-Tarifverträgen auf Basis eines modifizierten Arbeitnehmer-Entsendegesetzes, Anwendung des Gesetzes zur Festlegung von Mindestarbeitsbedingungen von 1952 oder ein neues Mindestlohngesetz – solchen Detailfragen weicht man am besten aus. Dass über die Höhe gar nichts gesagt wurde, erhärtet den Verdacht.
Insofern ist die Entdeckung des Sozialen bei Merkel & Co ein leicht zu entlarvender Wahlkampftrick, mit dem die Stammwählerschaft der SPD verunsichert werden soll. Ein folgenloses Bekenntnis zu einem Mindestlohn, den die Union vor wenigen Monaten noch vehement ablehnte, verwischt insofern die ohnehin nur noch schwer erkennbare Unterscheidungslinie zwischen den Volksparteien weiter und schwächt die Mobilisierungsfähigkeit der SPD.
Die Gewerkschaft NGG aber, der sich inzwischen immerhin die große Schwestergewerkschaft Ver.di angeschlossen hat, wird weiter für ihren gesetzlichen Mindestlohn in Höhe von 1.500 Euro bei Vollzeittätigkeit kämpfen müssen. KAI BERKE, Göttingen
betr.: „Taskforce gegen Lohndumping“, taz vom 14. 4. 05
Die Diskussion um die Einführung von Mindestlöhnen ist blanker Aktionismus. Das Arbeitnehmer-Entsendegesetz verpflichtet zur Zahlung von Mindestlöhnen nur, wenn die Rechtsnormen eines für allgemein verbindlich erklärten Tarifvertrages dies vorsehen.
In den meisten Bereichen, in denen Lohndumping bekämpft werden soll, gibt es solche allgemein verbindlichen Tarifverträge aber nicht. Es wird sie auch nicht geben, da die Allgemeinverbindlichkeitserklärung nach Paragraf 5 Tarifvertragsgesetz in der Regel voraussetzt, dass die tarifgebundenen Arbeitgeber nicht weniger als 50 von hundert der unter den Geltungsbereich des Tarifvertrags fallenden Arbeitnehmer beschäftigen. Es gibt aber nur wenige Gewerkschaften, die so mächtig sind, dass sie 50 Prozent der Arbeitnehmer repräsentieren. Verdeutlicht wird dies dadurch, dass von den rund 61.800 als gültig in das Tarifregister eingetragenen Tarifverträgen nur 464 allgemein verbindlich sind. Gültige und verbindliche Mindestlohn-Tarifverträge aufgrund des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes gibt es nur im Bau-, im Abbruch- und Abwrackgewerbe, im Maler- und Lackierer- sowie im Dachdeckerhandwerk. (www.bma.de, „Arbeit“, „Arbeitsrecht“). Die Diskussion um Mindestlöhne dürfte daher in erster Linie dazu dienen, den Wahlkampf in Nordrhein-Westfalen zu beflügeln. NIKOLAUS PAFFENHOLZ, Düsseldorf
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