herr tietz macht einen weiten einwurf : Schuhfabrikbesitzer Ballack
Fritz Tietz hört ein Feature über eine Fabrik in Vietnam, in der Adidas Schuhe für die sportliche Welt herstellen lässt
FRITZ TIETZ ist 45 Jahre alt, lebt als Nachfahre ostpreußischer Einwanderer in der Nordheide und treibt gelegentlich Sport.
Die Gegend wirkte so gemütlich wie eine Großbaustelle, heißt es in einem Hörfunk-Feature von Jens Jarisch über einen unwirtlichen Ort nahe der vietnamesischen Hauptstadt Saigon. Noch ist es nicht lange her, da war da bloß ein Dorf mit 400 Einwohnern, berichtet Jarisch. Dann wurde hier eine Fabrik gebaut. In dieser Fabrik lässt seither ein Subunternehmen des deutschen Sportartikelmagnaten Adidas über 20.000 Arbeiterinnen für einen Monatslohn von 30 bis 45 Dollar Adidas-Schuhe montieren. Jarisch hat diese Sklaverei besucht. Vorbei an salutierenden Betriebswachmannschaften gelangte er in eine Produktionshalle, deren Ausmaße der Autor kaum ermessen konnte. Zu tausenden sah er die Arbeiterinnen hocken, alle in hellblaue Blusen gekleidet und derart konzentriert beschäftigt, dass sie nicht mal aufblickten, als der Besucher sie passierte. Über ihnen hingen im Hallendach drei riesige Adidas-Reklamen mit den Abbildern von Zinedine Zidane, David Beckham und Michael Ballack. Jarisch fragte einige der Arbeiterinnen, „die gerade rote Plastikteile auf schwarze Plastikteile klebten“, wer diese Männer seien. Die Frauen wussten es. Das sind die Besitzer der Fabrik, erklärten sie.
Es ist nicht die einzige Verblüffung, die das Feature hinterlässt. „Lifestyle – warum tragen Vietnamesen keine Adidas-Schuhe?“ lautet sein Titel, es lief unlängst im Deutschlandfunk und sollte eigentlich jeden, der es hört und noch über einen Rest an sittlicher Solidität verfügt, fortan einen weiten Bogen um jeden Adidas-Schuh machen lassen. Andernfalls sollen ihm gefälligst die Füße abfaulen. So viel zum potenziellen Ende etlicher Sportspitzenkräfte, falls sie sich weiterhin von Adidas beschicken lassen. Ob selbiges Schicksal auch der zwölfjährigen Nachbarstochter von Jens Jarisch blühen muss? Sie war es, deren Kauf eines Paars cooler Adidas-Treter des Modells „Lifestyle“ den Autor fragen ließ: Wo kommen diese Schuhe eigentlich her? Die Herkunftsangabe auf dem Karton lautete Vietnam, und also machte sich Jarisch mit einem kleinen Aufnahmegerät auf die Socken.
Seine Recherche führte ihn zunächst nach Herzogenaurach, der Adidas-Zentrale, wo Menschen aus 42 Nationen arbeiten, darunter jedoch keiner aus Vietnam. In Herzogenaurach besuchte der Autor auch das Factory-Outlet, den Fabrikverkauf, den es hier selbstverständlich gibt, obwohl dort weit und breit keine Adidas-Fabrik existiert. Um eine solche besichtigen zu können, muss man nach Vietnam.
Dank seinem beeindruckend komponierten Radiostück kann man Jarisch auf dieser Expedition in die Adidas Corporate World begleiten. Durch seine angenehm unaufgeregt und prägnant geschilderten Eindrücke, die ausführlichen O-Töne und akustischen Bilder ist da dem Autor eine eindrückliche Erzählung über die globalisierten Verhältnisse im Sportschusterwesen gelungen. Dank der man etwa May kennen lernt, eine junge Vietnamesin, die seit neun Monaten Schnürsenkel einfädelt. Acht Stunden täglich, sechs Tage die Woche für 30 Dollar im Monat. Dank der man aber auch Mays Chef begegnet, der das Zehntausendfache ihres Lohns einstreicht. Dank der man zudem erfährt, dass der Autor in Vietnam nur drei Menschen sah, die Adidas-Schuhe trugen. Touristen. Darunter ein französischer Rucksackreisender mit „I love Vietnam“-T-Shirt, der das Angebot eines einheimischen Mädchens („Massage? Blow-Job? Make Love? Bum-Bum, very young“) annimmt. „Das Mädchen trägt Flip-Flops mit rosa Plastikschlaufen,“ erzählt Jarisch. „Wie jung sie ist, begreife ich erst, als ich ihre kleinen Kinderfüße darin sehe. Daneben wirken die Adidas-Schuhe des Rucksacktouristen wie die riesigen weißen Schuhe, die man braucht, um damit auf den Mond zu fliegen.“
Nächster Sendetermin des Features ist der 13. Juli 2005, 21.03 Uhr in SWR 2