: „Wir sind Wesen der Begierde“
KEINE MÄRCHEN Ein taz-Gespräch mit der französischen Regisseurin Agnès Jaoui über das Frauenbild in ihren Filmen, ihre Definition von Liebe und die gesellschaftliche Realität ihrer Geschichten
■ Geboren am 19. Oktober 1964 im Pariser Vorort Antony in einer jüdisch-tunesischen Familie. Sie begann ihre Karriere als Schauspielerin am Théâtre Nanterre. Als Regisseure das „fortgeschrittene Alter“ der 25-Jährigen kritisierten, fing sie an, sich selbst Rollen auf den Leib zu schreiben – mit großem Erfolg: Zusammen mit ihrem algerischen Ehemann Jean-Pierre Bacri hat Jaoui seit 1993 zahlreiche, preisgekrönte Theaterstücke und Drehbücher verfasst.
■ Regie hat sie bei drei Filmen geführt: „Le goût des autres“ („Lust auf anderes“, 2000), „Comme une image“ („Schau mich an!“, 2004) und zuletzt bei „Parlez-moi de la pluie“ („Erzähl mir was vom Regen“, 2008).
taz: Frau Jaoui, in Ihren Filmen kritisieren Sie die Fassaden der französischen Bourgeoisie, die Ihnen dafür alle Türen öffnet: Sie werden mit Preisen überhäuft und wandeln auf roten Teppichen. Wie gehen Sie mit diesem Widerspruch um?
Agnès Jaoui: Das ist für mich kein Widerspruch. Ich stehe dazu, Teil dieser bürgerlichen Gesellschaft zu sein. Es stimmt: Mit dem Erfolg hat sich mein Leben sehr verändert, und ich habe den Snobismus der Bourgeoisie übernommen. Aber schließlich kann ich nur kritisieren, was ich kenne! Meine teilnehmende Beobachtung hat allerdings ihre Grenzen: Von Galaveranstaltungen und Soireen halte ich mich fern; ich will mich nicht in einem goldenen Käfig verstecken.
Die Frauen in Ihrem Film „Erzähl mir was vom Regen“ sind entweder verhärtet, wie die von Ihnen selbst gespielte feministische Politikerin Agathe Villanova, oder unterwürfig, wie ihre Schwester Florence; sie sind Raben- oder Übermütter. Warum bieten Sie Ihren Protagonistinnen nur diese beiden Modelle an?
Weil wir Frauen es nicht leicht haben. Entweder unterwerfen wir uns, oder wir kämpfen gegen die Unterwerfung. Agathe hat sich entschieden: Sie versucht so frei wie möglich zu leben ohne die Frustration und Schuldgefühle, für die ja schon Eva als erste Frau Modell gestanden hat.
Warum lassen Sie Ihren Film trotzdem in allgemeiner Versöhnung enden?
Jean-Pierre [Bacri] und ich wollten schon lange über Paare schreiben, die sich der Norm unterwerfen. Ein ganzes Leben lang einander treu zu bleiben, das ist für mich ein extrem naives und konformistisches Modell. Die Liebe kennt ja viel mehr Formen! Ich bin sauer auf all die Märchen und Bücher, die das so betonen. Wir sind nicht grundsätzlich monogam, sondern Wesen der Begierde.
Florence nicht?
Sie kann nicht anders, als zu ihrem Ehemann zurückzukehren. Das ist das Schreckliche! Florence sieht dermaßen deprimiert aus in der letzten Szene, an der Seite ihrer Haushälterin Mimouna, aber sie ist gar nicht in der Lage, ihr Schicksal zu leben. Es wäre psychologisch nicht realistisch gewesen, sie mit der Figur von Jean-Pierre davonziehen zu lassen.
Nicht realistisch? In Ihren anderen Filmen befreien sich die Protagonisten aus ihrem Schicksal: Lolita emanzipiert sich in „Schau mich an!“ von ihrem berühmten Vater, und in „Lust auf anderes“ löst sich der Unternehmer von seiner ihn vereinnahmenden Frau. Warum sind Sie diesmal so fatalistisch?
Ich will mit meinen Filmen keine Märchen erzählen, sondern reale gesellschaftliche Probleme darstellen. Mich interessieren die Antihelden, die sympathischen Loser. Viele Leute sind in einem schwachen Zustand rührender, authentischer. Genau wie Florence scheitern wir alle irgendwo.
Sie stellen Agathe Villanova als Politikerin dar, aber sie könnte ebenso gut eine Prominente sein. Warum weicht der Film politischen Themen aus?
Es hätte uns gelangweilt, zu viel über Politik zu sprechen.
Ihre Herkunft vom Theater ist in Ihren Filmen deutlich zu erkennen: Sie konzentrieren sich auf wenige Handlungsorte, arbeiten mit Plansequenzen und halten sich auch sonst mit filmischen Mitteln zurück. Warum?
Ich mag es nicht, Emotionen in Großaufnahme zur Schau zu stellen. Viel lieber möchte ich alle Figuren in derselben langen Einstellung zeigen und so ihre Beziehung zueinander entwickeln. In meinen Filmen soll man die Anwesenheit der Kamera nicht spüren; so entsteht eine Ästhetik, die dem Theater nicht unähnlich ist.
Was fasziniert Sie dennoch am Film?
Die Energie im Theater ist nicht die gleiche: Auf der Bühne muss man die Stimme projizieren; das verändert die Art, die Dinge auszudrücken. Dabei lässt sich kaum die gleiche Intimität finden wie im Film. Außerdem können wir mit unseren Filmen ein viel größeres Publikum erreichen und mehr Schauspieler einsetzen.
Die Filme „Smoking“/„No Smoking“ von Alain Resnais, für die Sie und Bacri 1993 das Drehbuch geschrieben haben, folgen wie Tom Tykwers „Lola rennt“ der Idee der „films multiples“: Demnach kann der Mensch sein Schicksal auf unendlich viele verschiedene Bahnen lenken. Welche Alternativen hätten Sie sich für Ihr Leben vorstellen können?
Absolut keine Ahnung! Ich konnte mir nie etwas anderes vorstellen. Sängerin vielleicht – aber ich bin ja Sängerin!
Und Schauspielerin, Drehbuchautorin und Regisseurin. Welche Rolle gefällt Ihnen am besten?
Ich kann mich nicht entscheiden. Ich liebe all diese Metiers, deshalb wechsle ich sie gern.
In „Erzähl mir was vom Regen“ spielt das Motiv der Rückkehr zu den Wurzeln eine wichtige Rolle: Agathe Villanova kehrt in ihr Heimatdorf zurück, das sie nicht einmal zum Tod ihrer Mutter aufgesucht hat; sie fürchtet die Geister der Vergangenheit. Was ist Heimat für Sie?
Ich selbst hatte nie ein Elternhaus: Meine Familie stammt aus Tunesien, ich bin bei Paris groß geworden und habe alle meine Sommerferien in einem israelischen Kibbuz verbracht. Ich habe Heimweh nach einem Anderswo, das ich noch gar nicht kenne. Das ist schön und schrecklich zugleich.
INTERVIEW: CHRISTINA FELSCHEN