: Alles ein bisschen albern, aber egal
Pathos und Taumel: Bloc Party, der neue Gitarrenhype aus England, erzeugten im FritzClub Inbrunst und Glück
Der Postbahnhof, wo am Mittwoch Bloc Party der Stadt das begehrenswerteste Konzert des Monats geben, hat etwas sehr Rührendes an sich. Die hölzerne Dachkonstruktion erinnert an die Großraumdiskos auf dem Land, in die man nie ausgehen wollte. Umfunktionierte Scheunen mit Begleitmusik zum Wegsaufen von gutem Benehmen und Haltung waren das. Die machten einen hochmütig, und das nicht sehr einfallsreiche Ergebnis war: Abgrenzung. Diese aufbrausende „Alles, was ich will, ist nichts mit euch zu tun haben“-Wut in der Schulzeit. Was einen zwang, sich von noch nie gehörter, gewagter Musik aufwühlen zu lassen.
Das schleift sich ab, man kann ja nicht ewig erbittert sein.
In letzter Zeit taucht dieses Gefühl aber wieder nervtötend oft, in jedem zweiten Lied im Radio, auf: Da landet ein durchaus überwältigendes Album nach dem anderen von Unmengen von Bands in den Ohren, eins aufgebrachter als das andere. Nicht leicht also, in diesen Hochzeiten des Gitarren-Hypes die Musik nicht abgeklärt hinzunehmen. Immer wieder „ein nächstes großes Ding“. Eigentlich nur noch einen Seufzer wert. Man nimmt sich also vor, Verdrossenheit zu pflegen, nicht mehr darauf zu reagieren, und dann taucht mit der Bloc Party aus England doch wieder so ein Klang auf, der hängen bleibt. Auch diese Band wird wieder hoch gelobt. Man hat unehrenhafte Gedanken gegenüber den jungen Menschen, die das Konzert von Bloc Party besuchen, und dann muss man feststellen, dass man sich selbst nicht entziehen kann.
Bloc Party haben nämlich etwas, was nach wie vor und immer wieder erschüttert: Sie haben Pathos. Es ist genau richtig und exakt so, wie schon der werte Schiller das Gefühl von Inbrunst getroffen hat: „Ein bis ins Tierische gehender Ausdruck der Sinnlichkeit erscheint dann auf allen Gesichtern, die trunkenen Augen schwimmen, der offene Mund ist ganz Begierde, ein wollüstiges Zittern ergreift den ganzen Körper, der Atem ist schnell und schwach, kurz alle Symptome der Berauschung stellen sich ein.“
So sieht es aus, auf dem Konzert von Bloc Party. Man muss ein wenig großzügig wegschauen, als lustige Leute mit Stagediven anfangen. Ansonsten ist es durchaus wunderbar. Bloc Party sind nicht die Beatsteaks, sie haben nichts mit Festivals und Schlamm und Bier in Plastikbechern zu tun. Auch nicht mit Pub und Fußball. Stattdessen bauen sie auf echten Schmerz und überlebensgroße Lust. Wie eine Lieblingsband aus jener besagten Zeit, als man noch in Hochgefühl mit dem Walkman durch die Straßen lief und sich als besser und überlegen empfand.
Dieser Pathos-Taumel weiß sich im Übrigen gut zu verkaufen: Der Merchandise-Stand ist vollgepackt mit Zeugs, das der Indie-Jugend das Herz klopfen lässt: Gürtel, Buttons, Kaffeebecher, rosa Schlüpfer. Und das nach der Veröffentlichung nur eines wirklichen Albums vor ein paar Wochen. Das ist alles sehr albern, sehr verständlich und auch ein bisschen egal. An diesem Abend möchte man den heißen Atem schöner Fremder im Nacken spüren. Eine Band sehen, die vielleicht keine reine, große Kunst macht, die aber den grundsätzlichen Sinn der Musik erfüllt: Schwermut und Euphorie erzeugen, die einem das Herz herausreißt. Everybody disco. So ist das.
Das Beste daran: Man möchte plötzlich gar nicht mehr in einer Ecke kauern, herumstehen, Bierflaschen halten und schüchtern sein. Bloc Party nötigen alle, zu tanzen. Wie besessen. Die Lieder schlagen einem in ihrer hysterischen und gehetzten Rhythmik mit einer solchen Wucht entgegen – da bleibt nichts übrig, als den Arm zu heben und zu schreien.
Und als man dann auch noch Kele Okereke „Banquet“ singen hört, mit einer Stimme, die einen fast umbringt, da weiß man plötzlich Bescheid: Das ist das Glück. Das ist Schwelgen. Aber jetzt wirklich: genug damit.
JANE FRÄNZEL