: Die lange Spur des Völkermords
Am 24. April jährt sich der Völkermord an den Armeniern. Viele türkischstämmige Migranten lehnen jedoch die Bezeichnung Genozid ab. Ein Rückblick und die Erfahrungen zweier Armenier in Berlin
VON CEM SEY
Überall auf der Welt sehen Armenier den 24. April als den Anfang des Genozids in Anatolien im Jahre 1915 an. Deshalb wird dieses Datum in vielen europäischen Ländern und in den USA als Gedenktag begangen. Aus diesem Anlass findet am Samstagnachmittag ein ökumenischer Gottesdienst im Berliner Dom statt, den der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Bischof Wolfgang Huber, leiten wird. Im Abgeordnetenhaus beginnt anschließend eine Gedenkveranstaltung, bei der unter anderem Parlamentspräsident Walter Momper (SPD) sprechen wird. Am Donnerstag hatte bereits der Bundestag über das Thema diskutiert.
Ein Großteil der türkischstämmigen Migranten in Berlin sieht allerdings in der Debatte über den Völkermord eine Diffamierungskampagne der Europäer. Fünf türkische Verbände in Berlin haben deswegen vor mehreren Wochen eine Erklärung veröffentlicht, in der sie den Genozid an den Armeniern abstreiten.
Am 24. April 1915 waren die osmanischen Truppen in Bedrängnis. Der Verbündete Deutschlands im Ersten Weltkrieg wurde an mehreren Fronten angegriffen: Im Westen versuchten die Briten und die Franzosen die Meerenge Dardanellen zu durchqueren, um direkt die Hauptstadt Istanbul einzunehmen. Gleichzeitig rückten russische Truppen über den Kaukasus ins anatolische Gebiet vor. Mit diesem Vorstoß drangen die Russen in traditionell armenisches Siedlungsgebiet ein.
Dort, das wussten russische Generäle, erwartete sie zumindest Sympathie. Sie wussten auch, dass armenische Nationalisten für einen Nationalstaat kämpften. Am 15. April 1915 begann ein Aufstand in Van gegen die osmanische Herrschaft. Gegen die angeschlagenen Truppen der Osmanen erzielten die Aufständischen schnell Erfolge: Die Truppen mussten sich zurückziehen. Kurz darauf wurde Van durch russische Truppen besetzt.
Das versetzte die osmanische Hauptstadt in Panik. Die Antwort war zunächst die Verhaftung von über 2.000 Armeniern in Istanbul am 24. April 1915. Die osmanische Regierung verdächtigte sie, Drahtzieher der sich häufenden armenischen Aufstände in Anatolien zu sein. Die Verhafteten waren meist Intellektuelle, Politiker und Geistliche. Sie wurden deportiert. Kaum einer überlebte diese Aktion.
Darauf folgte die großflächige ethnische Säuberung Anatoliens von Armeniern nach einem Beschluss am 27. Mai 1915. Fast zwei Millionen armenische Zivilisten wurden aus ihren Häusern vertrieben und zu langen Märschen gezwungen. Offiziell redeten die osmanischen Behörden von einer Aktion der Zwangsumsiedlung zum Schutz der armenischen Bevölkerung. Praktisch war es ein Todesmarsch.
Es interessierte die osmanischen Behörden nicht, ob diese Zivilisten mit organisierten politischen Strukturen zu tun hatten, die sich nach einem armenischen Nationalstaat sehnten. Heute wird heftig darüber gestritten, ob diese Maßnahme von langer Hand geplant war. In der Türkei ist man davon überzeugt, dass es eine spontane Aktion war. Die meisten westlichen und fast alle armenischen Historikern glauben hingegen fest daran, dass es ein Genozid war, der insgeheim jahrelang vorbereitet wurde.