Kanther an Hotzenplotz

Was gewöhnliche Kriminelle einander so schreiben. Ein Bericht aus der Unterwelt

„Sollen wir nicht Kanther als Unterchef in unsere Gangsterbande aufnehmen?“

Es ist schon drollig, was der gerichtsnotorische, zu anderthalb Jahren Knast auf Bewährung verknackte Lügenbold und Gesetzesbrecher Manfred Kanther zu seiner Rechtfertigung so alles herausbellt. „Die Kriminalisierung ist völlig abwegig“, hat er erklärt, und er behauptet, bei seinem illegalen Millionentransfer von Parteispenden, den er und sein Gangsterkomplize Casimir Prinz zu Sayn-Wittgenstein im nachhinein irgendwelchen jüdischen Emigranten in die Schuhe schieben wollten, habe er „aus einer anständigen politischen Grundmotivation“ gehandelt, also gewissermaßen in einer übergesetzlichen Notstandslage und mithin als untadeliger Widerstandskämpfer gegen den „linkswütigen Zeitgeist“. Seinen Ruf als Law-and-Order-Mann hat Manfred Kanther, wie er es auch dreht und wendet, ruiniert und vergeigt. Für immer. Doch es gibt auch Kreise, in denen sein Ansehen jäh gestiegen ist …

In dem kleinen Unterweltlokal in der Göttinger Güterbahnhofstraße, das der mehrfach verurteilte Handtaschendieb, Heiratsschwindler und Schlagetot Fridolin W., genannt Kroaten-Fiete, zum Stammlokal erkoren hatte, herrschte eine geradezu andächtige Stimmung, als er seiner atemlos lauschenden Räuberbande bei Apfelkorn und Schweinerollbraten von Kanthers Dreistigkeit vorschwärmte.

„Der hat Mumm in den Knochen!“, rief der Bandenchef und schlug mit der Faust auf den Tisch. „Ich hab mich intensiv befasst mit diesem Fall. Dieser abgefeimte Kerl hat sich bis an die Spitze des Bundesinnenministerums hochschlawinert und sich irgend so’n neues Gesetz ausgedacht, das er dann selbst permanent gebrochen hat.“

„Hoho!“, schrie der Räuber Hotzenplotz, der sich viel darauf einbildete, als gichtiger alter Krauter noch einmal Anschluss an eine aktive Räuberbande gefunden zu haben. „Hört, hört! Das erinnert mich an ein Erlebnis, das ich mit dem Wachtmeister Dimpfelmoser hatte. Der hat nämlich auch nur so getan als ob, und dabei hat er damals, äh, wann war das noch …“

„Das tut jetzt nichts zur Sache“, knurrte Kroaten-Fiete und senkte sein Knurren zu einem heiseren Röcheln. „Was ich sagen will, ist Folgendes: Dieser Kanther hat am Ende noch die Frechheit besessen, vor Gericht zu erklären, dass er aus einer anständigen politischen Grundmotivation gehandelt habe. Hat jemals einer von euch etwas in dieser Art vor Gericht erklärt?“ Kroaten-Fiete blickte die Mitglieder seiner Bande vorwurfsvoll an, eins nach dem anderen – Granaten-Eddy, Paul die Sau, den schleimigen Automarder Mario aus Königs Wusterhausen und den räudigen Räuber Hotzenplotz, der es auch nicht mehr lange machen würde.

Betreten schauten die Bandenmitglieder zu Boden. Nein, sie hatten sich niemals auf eine anständige politische Grundmotivation berufen und herausgeredet, wenn sie vor Gericht gestanden hatten. Sie hätten gar nicht gewusst, was das ist, eine anständige politische Grundmotivation, weil sie leider nicht so edle Charaktere waren wie dieser heuchlerische, verlogene und durchtriebene Herr Exminister, aber wenn man mit einer anständigen politischen Grundmotivation die Polizei an der Nase herumführen konnte und dann noch frech werden durfte, wollten sie auch so was haben, verdammt noch mal! Das verlangte die Ganovenehre!

„Chef“, murmelte Granaten-Eddy, „darf ich mal was fragen?“ – „Schieß los.“ – „Wenn dieser Kanther uns als Verbrecher über ist, weswegen nehmen wir ihn dann nicht in unsere Bande auf? Ich meine, als Unterchef, gleich nach dir?“ – „Gute Idee“, raunte Paul die Sau.

„Find ich auch“, schleimte der Automarder. „Also ich weiß nicht“, sagte der Räuber Hotzenplotz. „Um Kasperls und Seppels Großmutter die Kaffeemühle zu stehlen, braucht man doch keinen Unterchef. Früher, als ich noch mein eigener Chef war …“ – „Maul halten“, sagte Kroaten-Fiete, und noch am selben Abend traf in Manfred Kanthers Büro ein Fax ein: „Bravo, Manni! Wir, eine Bande kleinkrimineller Zeitgenossen aus Südniedersachsen, haben voller Bewunderung die Schau verfolgt, die du als überführter und verurteilter Verbrecher abgezogen hast. Bravissimo! Du hast es wahrlich faustdick hinter den ‚Ohren‘. Einen Gauner wie dich könnten wir in unseren Reihen gut gebrauchen. Nächste Woche wollen wir die Metzgerei Ruwisch überfallen und ausrauben, hier in Göttingen in der Pfalz-Grona- Breite. Wir sind eingefleischte Vegetarier und handeln aus einer anständigen politischen Grundmotivation heraus. Machste mit?“

Unterzeichnet war das Schreiben von Kroaten-Fiete, Granaten-Eddy, Paul der Sau, dem Automarder Mario und dem Räuber Hotzenplotz.

Zwei Tage später kam die Antwort. „Sehr geehrte Herren! Es ehrt mich, dass Sie bei Ihrer Initiative bezüglich der Metzgerei Ruwisch meine Mitwirkung erwogen haben, und ich könnte, ehrlich gesagt, einen Anteil an der zu erwartenden Beute ganz gut gebrauchen, da mich ein bornierter, politisch voreingenommener Richterstab soeben zur Zahlung von 25.000 Euro verdonnert hat. Doch als alter, im zähen Kampf gegen das Böse auch körperlich verbrauchter Mann muss ich mir die persönliche Beteiligung an Ihrem Projekt leider versagen. Nichtsdestoweniger wäre es mir ein Vergnügen, Sie als Anwalt zu vertreten, gesetzt den Fall, dass Sie bei Ihrer Tat von irgendwelchen verbohrten Spätsozialisten erwischt werden sollten. Denn ich entnehme Ihrem Brief mit Genugtuung, dass in unserer von Gleichmachern verwüsteten Republik noch etwas von dem unternehmerischen Geist lebendig ist, der das deutsche Volk groß gemacht und unsere Väter dazu inspiriert hat, bis zum Donezbecken vorzudringen und dort befehlsgemäß die eine oder andere Bauernkate niederzubrennen. Habe die Ehre! Ihr Manfred Kanther.“

In seinem Stammlokal in der Göttinger Güterbahnhofstraße hat Kroaten-Fiete Manfred Kanthers Fax inzwischen an der Wand aufgehängt, in einem Schnellrahmen, neben der Dartscheibe, und wer Bock darauf hat, kann es dort bewundern.

GERHARD HENSCHEL