: Die Todesmärsche
Der von den Häftlingen geprägte Begriff Todesmarsch markiert die letzte Phase des Lagersystems: Er bezeichnet die mit der Räumung der Konzentrations- und Vernichtungslager verbundenen Märsche von Häftlingen in den letzten Kriegsmonaten, die zehntausende Opfer kosteten. Auf tagelangen Fußmärschen, zum Teil in offenen Güterwaggons und auf Schiffen, wurden die Häftlinge vor den anrückenden Alliierten über hunderte von Kilometern ins Landesinnere „evakuiert“. Gefangene, die vor Erschöpfung nicht weiter konnten, wurden am Straßenrand von den Bewachern erschossen oder erschlagen. (Lexikon des Holocaust, München 2002)
Die Motive für die Todesmärsche sind nicht abschließend erforscht. Dokumentiert ist die zentrale Anordnung von SS-Reichsführer Himmler aus dem Sommer 1944, sämtliche KZ angesichts der heranrückenden Alliierten zu räumen und dafür zu sorgen, dass „kein Häftling dem Feind lebendig in die Hände fallen“ dürfe. Neuere Forschungen gehen davon aus, dass mit der Räumung nicht – wie angenommen – die Vertuschung der NS-Verbrechen erreicht werden sollte. Vielmehr habe die Absicht der „Vernichtung unwerten Lebens“ bis zuletzt im Vordergrund gestanden, so der Leiter der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten, Günter Morsch.
In den letzten Kriegswochen wurden deshalb – auch im KZ Sachsenhausen – noch tausende schwer kranker Häftlinge ermordet. Die „Marschfähigen“ sollten übrig bleiben und sich zu Tode marschieren oder unterwegs erschossen werden. Wer trotzdem überlebte, so der Plan, sollte als „Faustpfand“ bei etwaigen Verhandlungen mit den Alliierten eingesetzt werden.
Der Todesmarsch der Häftlinge aus dem KZ Sachsenhausen begann in der Nacht vom 20. auf den 21. April 1945. Mehr als 30.000 der rund 35.000 Gefangenen (genaue Zahlen liegen nicht vor, weil die Lagerkommandantur zahlreiche Akten vor dem Abmarsch vernichten ließ) wurden in Kolonnen von je 500 Häftlingen Richtung Nordwesten getrieben. Die Zahl der unterwegs Ermordeten ist unbekannt. Neueste Forschungen gehen davon aus, dass von den über 700.000 Häftlingen, die sich im Januar 1945 im System der Konzentrationslager befanden, bis zu 300.000 bei den Märschen ums Leben kamen.
Der Todesmarsch von Sachsenhausen hat weder einen konkreten Endzeitpunkt noch -ort. Man geht davon aus, dass spätestens am 7. Mai die letzten Kolonnen freikamen. Sicher ist, dass verschiedene Kolonnen ab Anfang Mai von amerikanischen Einheiten oder Einheiten der Roten Armee befreit wurden. Andere wurden, ebenfalls Anfang Mai, von den ihrerseits nun flüchtenden SS-Bewachern verlassen und trafen zwischen dem 3. und 6. Mai bei Crivitz (Luftlinie etwa 140 Kilometer von Sachsenhausen entfernt) und in Raben-Steinfeld bei Schwerin auf Einheiten der Zweiten Belorussischen Front sowie bei Ludwigslust auf Einheiten der 7. US-Panzerdivision. Viele von ihnen wurden zunächst in Kasernen in Schwerin sowie in Spitälern untergebracht.
Die etwa 3.000 im KZ Sachsenhausen zurückgelassenen schwer kranken Häftlinge wurden am 22. April von sowjetischen und polnischen Einheiten befreit – einen Tag nach der Räumung des Lagers durch die SS. Peter Heilbuts Buch „Ins Leben gelaufen. Als Sachsenhausen-Häftling auf dem Todesmarsch April/Mai 1945“ erscheint im Selbstverlag (Hamburg 2005, 122 Seiten, 5 Euro).
HH
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