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Archiv-Artikel

Der Ratzinger des Fußballsports

Der Funktionär Michel Platini profiliert sich bei seinem Streben nach Macht im Weltfußball gleichzeitig als Romantiker und konservativer Bewahrer von „Grundwerten“. Beim Uefa-Kongress in Tallinn erhielten seine Ambitionen einen Dämpfer

VON MATTI LIESKE

Gern erzählt Michel Platini die Anekdote, wie er mal mit einem Fan des AC Mailand redete, als die Mannschaft gerade die Qualifikation für die Champions League verpasst hatte, weil sie in Italien nur Sechster geworden war. Es sei eine Schande, sagte der Fan, eine Mannschaft mit so vielen großen Spieler müsse draußen bleiben und ein norwegisches Team sei dabei. Dabei sei es viel schwerer, in Italien Sechster zu werden als Zweiter in Norwegen. „Dann spielt halt in Norwegen“, entgegnete Platini ungerührt.

Nein, der Franzose ist kein Freund der großen und reichen Fußballklubs, und in seiner Funktionärskarriere hat ihm das einerseits geholfen, andererseits geschadet. Ähnlich wie sein einstiger Mentor, Fifa-Präsident Joseph Blatter, weiß Platini, dass es viel mehr kleine Fußballnationen gibt als große, dort also mehr Stimmen zu holen sind. Auf der anderen Seite ist die Gegnerschaft der mächtigen Klubs und Verbände ein großer Stolperstein, wenn man ganz nach oben will. Und das will Michel Platini. Nie hat der 49-Jährige einen Hehl daraus gemacht, dass er Uefa-Präsident werden möchte und irgendwann sicher auch Fifa-Präsident.

Ein schwerer Dämpfer

Diese Bestrebungen haben am Donnerstag beim Uefa-Kongress in Tallinn erstmal einen schweren Dämpfer erhalten, und manches deutet darauf hin, dass es Michel Platini in seiner Funktionärskarriere ähnlich ergehen könnte wie in seiner fußballerischen, wo ihm der ganz große Coup trotz aller Brillanz verwehrt blieb. Mit dem Beschluss, die Amtszeit des Präsidenten Lennart Johansson, der seit 1990 der Uefa vorsteht, um ein Jahr bis 2007 zu verlängern, wurde den Ambitionen Platinis erst mal ein Riegel vorgeschoben. Als Gipfel der Kränkung musste er sich vom schwedischen Amtsinhaber wegen seiner frühen Eröffnung des Wahlkampfs auch noch öffentlich rüffeln lassen wie ein dummer Schulbub. Außerdem ließ der 75-jährige Johansson offen, ob er nicht doch noch mal für eine Amtszeit kandidieren will, ein weiterer Affront gegen den ehrgeizigen Platini. Äußerlich gab sich der Franzose gelassen und erklärte, er werde seine Bewerbung ruhen lassen, innerlich dürfte er gekocht haben, denn er fühlt sich hintergangen von dem Schweden.

Geplatzter Kuhhandel

Michel Platini wollte nämlich bereits 2002 Uefa-Präsident werden, als Johansson schon einmal einen Rückzug andeutete. Selbst als der Schwede seine erneute Kandidatur verkündete, beabsichtigte Platini, gegen ihn anzutreten, ließ sich dann aber in einem privaten Gespräch mit Johansson zum Verzicht bewegen. Wie es scheint, im Glauben, dass ihn dieser dann im Gegenzug 2006 zur Nachfolge verhelfen werde.

Davon will Johansson jetzt nichts mehr wissen, sein Favorit heißt eindeutig Franz Beckenbauer. Nie hat der Schwede Platini verziehen, dass dieser als eifriger Unterstützer Blatters 1998 maßgeblich zu Johanssons bitterer Niederlage im Kampf um die Fifa-Präsidentschaft beitrug und auch 2002 bei der Wiederwahl des Schweizers gegen den von der Uefa unterstützten Afrikaner Issa Hayatou beteiligt war. Als sich Platini 2002 nicht nur in die Fifa-Exekutive, sondern auch in die Uefa-Exekutive wählen ließ, galt er als Fifa-Mann, und die Kollegen aus dem europäischen Verband straften ihn dafür, indem sie ihn am Abend der Wahl im Hotelrestaurant allein an seinem Tisch sitzen ließen.

Der Machtkampf im Weltfußball treibt seltsame Blüten. Leute, die den umtriebigen Blatter verabscheuen, umschwärmen dessen Adlatus Platini. Franz Beckenbauer, der ebenso wie Gerhard Mayer-Vorfelder erklärter Blatter-Unterstützer war und ist, hat es mit seiner verbindlichen Art trotzdem geschafft, sich auch bei Johansson einzuschmeicheln, ohne dabei Blatter zu verprellen. Der wiederum ist deutlich von seinem einstigen Verbündeten Platini abgerückt und sähe ebenfalls lieber Beckenbauer als Uefa-Präsidenten.

Die Gründe liegen auf der Hand. Platini ist zwar längst nicht der Fußballromantiker, als den ihn einige blauäugige Bewunderer sehen, sondern ein mit allen Wassern gewaschener Sportfunktionär, aber er ist ein konservativer Bewahrer, der viel von „Grundwerten“ redet, ein Fundamentalist, eine Art Ratzinger des Fußballs. Er wäre ein Präsident, der sich einmischt und Leuten auf die Füße tritt, ganz anders als der Larifari-Kaiser aus Deutschland, der niemandem wehtut und offenbar denkt, das Amt des Uefa-Präsidenten bestehe darin, ab und zu einen Pokal zu überreichen. Ernsthaft scheint er zu glauben, auch als Uefa-Boss weiter Bayern-Vorsitzender bleiben zu können, und vermutlich hält er auch die Jobs als Bild-Kolumnist und Fernsehschwafler für jederzeit kompatibel.

Begnadeter Rackerer

Michel Platini, Organisator der WM 1998 in Frankreich, ist als Funktionär hingegen ein Rackerer, wie er es als begnadeter Spieler nie war. Kaum hatte er seine aktive Karriere beendet, begann seine sportpolitische. Nach der fußballerisch armseligen WM 1990 war er in einer Task Force, der auch Beckenbauer und Vogts angehörten, maßgeblich daran beteiligt, Reformen zu planen, wie zum Beispiel das Verbot des Grätschens von hinten und die Rückpassregel. „Wir haben die Torhüter zu Fußballern gemacht“, sagt er voll Stolz. Bald war er gefürchtet in Funktionärskreisen, denn kaum kam ein Problem auf, schon trudelte ein langes Diskussionspapier von Platini dazu ein.

Blatter wollte ihm nach seiner Wahl 1998 den hoch bezahlten Posten eines „Technischen Direktors“ der Fifa geben – ein Amt, das man erfindet, wenn man jemandem einen Gefallen schuldet, wie es gerade Jürgen Klinsmann mit Berti Vogts versucht, der ihn als Bundestrainer ins Gespräch brachte. Aus Rache verhinderte Johanssons Gefolgschaft in der Fifa-Exekutive damals die Inthronisierung Platinis, Blatter stellte ihn daraufhin als „Persönlichen Berater“ ein. Der Franzose kümmerte sich um die Vereinheitlichung des weltweiten Fußballkalenders, um Transferregelungen, das weltweite Jugendförderungsprogramm „Goal“, mit dem Blatter auf Stimmenfang gegangen war, und während Franz Beckenbauer für Südafrika als Ausrichter der WM 2010 warb, setzte sich Platini als „Handlungsreisender“ (Die Zeit) der französischen Industrie, die einen Großteil der Infrastruktur geliefert hätte, für Marokko ein.

Potenzieller Blatter-Erbe

Das Verhältnis von Blatter zu Platini kühlte jedoch ab, als dieser immer stärker gegen Kommerzialisierung und die Macht der großen Klubs wetterte, womit er sich auch als potenzieller Blatter-Erbe in der Fifa profilierte. Andererseits musste er mit seinem verstärkten Engagement in der Uefa dringend dem Eindruck entgegenwirken, ein reiner Blatter-Mann zu sein. Für Furore sorgte Platini mit seiner Forderung, die reichen Klubs viel stärker finanziell zu kontrollieren, das Geschacher um jugendliche Talente, vor allem aus Afrika, zu unterbinden und im Europacup zu einem reinen K.-o.-System mit 256 Klubs zurückzukehren. „Das Geschäft muss am Ende der Kette stehen, nicht am Anfang“ sprach er, Klubs wie Bayern München müssten auch „in Malta und Finnland“ spielen. Karl-Heinz Rummenigge bezeichnete ihn als „übertriebenen Sozialisten“, Dortmunds Manager Michael Meier nannte, als er noch nicht so kleinlaut war wie heute, Platinis Aussagen „Worte eines Funktionärs, der wenig von den Vereinen versteht“.

Platini weiß selbst am besten, dass er vieles von dem, was er in seinem langen Wahlkampf propagiert, niemals durchsetzen kann. Schließlich hat die Uefa das heutige Format der Champions League nicht freiwillig eingeführt, sondern unter dem Druck der großen Klubs, die drauf und dran waren, eine eigene Europaliga zu gründen und der Uefa ihre dickste Einnahmequelle zu verstopfen. Dennoch sind die Visionen Platinis für viele Uefa-Delegierte aus den kleinen Fußballverbänden attraktiv, und so ist es kein Wunder, dass den mächtigen Gegnern des Franzosen frühzeitig klar wurde, dass nur einer genug Renommee hat, um Michel Platini zu stoppen und dafür zu sorgen, dass alles beim Alten bleibt im europäischen Fußball. Der Betreffende wurde dann auch eilfertig vom DFB-Chef Theo Zwanziger auf den Kandidatenschild gehoben, wie immer sträubte er sich nicht. Was Franz Beckenbauer eigentlich für das Amt des Uefa-Präsidenten qualifiziert, das hat vorsichtshalber niemand gefragt.