: Italienisch für Anfänger
Der alte Mann, die Fünfzigerjahre und der Jazz: Der italienische Chansonsänger Paolo Conte übte sich im Großen Saal der Philharmonie in vornehmer Zurückhaltung und setzte gut abgestimmt die Arbeit an seinem eigenen Denkmal fort
War Paolo Conte jemals jung? Als er die Bühne der Philharmonie betritt, wirkt er mit seinen schlohweißen Haaren noch eine Spur älter, als man ihn von seinen Plattencovern her in Erinnerung hat: Ein distinguierter alter Herr, stets makellos gekleidet, mit grauem Schnurrbart und gesetztem Blick. Im Großen Saal der Philharmonie schreitet dieser Herr schnurstracks an sein Klavier und stimmt eine Ballade über „L’Inverno“ an, den Winter. Das kann man als Anspielung darauf sehen, dass sich der 68-Jährige über den Herbst des eigenen Lebens hinaus wähnt. Man kann es aber auch schlicht als Teil jener Selbstinszenierung sehen, mit der Paolo Conte seit Jahren die Arbeit an seinem eigenen Denkmal betreibt.
So gesehen, ist Paolo Conte inzwischen in die Phase der Klassikerwerdung eingetreten: Das Arsenal an Instrumenten auf der Bühne wirkt so, als wollte er damit Strawinskys „Feuervogel“ aufführen – ein riesiges Xylofon, ein Kontrabass und das Klavier. Später nehmen zwei Gitarristen auf ihren Stühlen Platz und die Bläser greifen zu Klarinette, Oboe, Fagott und Saxofon. Entsprechend klassisch empfängt die Big Band, ganz in Anzug und Fliege, ihren Chef mit einer Art instrumentalen „Peter und der Wolf“-Ouvertüre.
Paolo Conte ist so italienisch wie Vespa, Spaghetti und Espressobars. Denn seine Musik ist gnadenlos nostalgisch: Von altem Swing und jazziger Barmusik beeinflusste Chansons, die den Geist jener Zeit atmen, als Sophia Loren nach Hollywood ging; die Fünfzigerjahre also, in denen auch Paolo Conte einmal jung gewesen sein muss. Möglicherweise auch die Mehrheit seines Publikums in der Philharmonie, das bis zu 95 Euro bezahlt hat und fast vollzählig in Abendgarderobe erschienen ist. Die Italiener im Saal erkannt man daran, dass sie „Supreme“ oder „Bravo“ in die Stille hinein rufen, wenn der Applaus abgebrandet ist.
Paolo Conte hingegen glänzt durch Zurückhaltung: Er macht keine Ansagen, sondern stellt nur im Laufe des Abends seine Musiker vor. Aristokratisch thront er an seinem Klavier in der Mitte des Saals und empfängt mit sparsamen Gesten die Ovationen. Allein die Lackschuhe wippen stets enthusiastisch unterm Klavier im Takt. In der Philharmonie kommen die akustischen Spielereien natürlich gut zur Geltung, mit denen er einige seiner bekannten Hits variiert. Mal wandert die Melodie vom Xylofon über das Bandoneon zum Saxofon, und zu „Comédie“ holt er eine kleine Tröte heraus und bläst darauf ein paar Takte. Doch so unterschiedlich die Arrangements auch ausfallen, es sind stets unverkennbar seine Stücke: Atmosphärische Skizzen oder kleine Kurzgeschichten, seine Ballade über einen „Sandwich Man“ etwa oder seine Ode an Genua, und selbst für jene, die des Italienischen nicht mächtig sind, leicht zu verstehen: Italienisch für Anfänger.
Bei seinem vielleicht bekanntesten Hit „Via Con Me“ brandet der Applaus des Wiedererkennens besonders stark auf, und so spielt Paolo Conte das Stück zur Zugabe gleich ein zweites Mal: die vielleicht einzige Konzession ans Publikum an diesem Abend. Danach verlässt er die Bühne mit erhobenen Armen und einem Blumenstrauß in der Linken.
DANIEL BAX