Mehr Prävention gegen Schnaps, Joints und Facebook

GESUNDHEIT Die Bundesregierung beschließt eine „Nationale Strategie zur Drogen- und Suchtpolitik“

„Hier werden ganze Bevölkerungsgruppen diskriminiert“

ANGELIKA GRAF, DROGENBEAUFTRAGTE DER SPD-BUNDESTAGSFRAKTION

BERLIN taz | Mit mehr Aufklärung und Beratung will die Bundesregierung gegen Suchtprobleme in der Bevölkerung ankämpfen. Am Mittwoch gab das Kabinett grünes Licht für die „Nationale Strategie zur Drogen- und Suchtpolitik“, die den „Aktionsplan Drogen“ von 2003 ablöst. Wie die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Mechthild Dyckmans, bei der Vorstellung des Papiers sagte, solle Prävention nicht mehr „mit der Gießkanne verteilt“ werden, sondern sich gezielter an suchtgefährdete Gruppen wenden: Kinder, Jugendliche, Schwangere und MigrantInnen.

Dem letzten Drogen- und Suchtbericht der Regierung zufolge rauchen in Deutschland 16 Millionen Menschen, 9,5 Millionen Menschen gefährden ihre Gesundheit durch hohen Alkoholkonsum. Unter Internetsucht, die ebenfalls mit der Strategie bekämpft werden soll, leiden einer Studie zufolge 560.000 Menschen. Ähnlich viele sind von Glücksspielsucht betroffen.

„Die Nationale Strategie stellt die Suchtpolitik auf eine moderne und aktuelle Grundlage“, sagte Dyckmans. Darunter verstehe sie unter anderem, dass durch den demografischen Wandel auch die Sucht im Alter stärker ins Blickfeld der Politik rücken müsse. Ähnliches gelte aber auch für Trends wie Komasaufen bei Jugendlichen und für gleichzeitigen Konsum von beispielsweise Koks und Alkohol.

Die neue Strategie sieht ebenfalls vor, die Frühintervention beim Arzt und die Suchtprävention in den Betrieben auszubauen sowie die Zusammenarbeit verschiedener Hilfeeinrichtungen zu stärken. Außerdem sollen geschlechtsspezifische Unterschiede bei Süchten mehr Aufmerksamkeit erhalten.

Angelika Graf, Drogenbeauftragte der SPD-Bundestagsfraktion, kritisierte, dass sich der neue Plan vor allem auf Risikogruppen konzentriere: „Süchte entstehen auch, ohne dass man einer Risikogruppe angehört.“ Übel aufgestoßen sei ihr der Abschnitt über MigrantInnen. Darin heißt es: „Junge russischstämmige Aussiedler wenden sich eher den Opiaten zu, Muslime weisen eher cannabisbezogene als alkoholbezogene Störungen auf.“ Graf sagte zur taz: „Ich halte das für unerhört. Hier werden ganze Bevölkerungsgruppen diskriminiert.“

Auch Harald Terpe, suchtpolitischer Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, kritisierte den Plan: „Dafür, dass eine neue Strategie jahrelang angekündigt wurde, ist das heute vorgestellte Ergebnis kümmerlich.“ Dyckmans setze auf Maßnahmen, die ihre Wirkungslosigkeit bereits bewiesen hätten. Beim Kampf gegen Tabak, Alkohol und illegale Drogen herrsche weiterhin Stagnation. SEBASTIAN FISCHER