Der knisternde Moment, bevor das Musikstück einsetzt

KUNST Bilder strahlen in den Raum hinein: Nadine Fechts wirkungsvolle Ausstellung „fields recording“ in der Galerie fruehsorge

Die Verunsicherung beginnt bereits hinter der Eingangstür zur Galerie. Nadine Fecht hat für ihre Ausstellung auch den Fußboden der Altbauetage weiß gestrichen. Zusammen mit dem Weiß von Wänden und Decke und den mit Pauspapier verschlossenen Fenstern ist so ein Raum entstanden, der sich in der Wahrnehmung fast gänzlich aufhebt.

Diese Leere des (Spiel-)Felds ist Voraussetzung für die Eingriffe, die Nadine Fecht unternimmt, um den Raum wieder in Erscheinen treten zu lassen. So hat die 1976 in Mannheim geborene Künstlerin in zwei etwa zwei mal drei Meter großen Rechtecken die Wand neu bezeichnet. Das heißt: Sie hat die Wand einfach mit Leinöl gefirnisst, so dass sie als eigenständige Fläche erneut präsent wird.

Der Kontrast zur Kohlezeichnung gegenüber könnte kaum größer ausfallen. Das zackige Schwarzweiß der symmetrischen Komposition wirkt, als würde man in das Bild förmlich hineingesogen. Dieser vom Verstand unabhängigen Wirkung kann man sich als Betrachter gar nicht entziehen – es sei denn, man verlässt den Gesichtskreis des Bildes und tritt zurück in den Raum. Es gibt also eine ambivalente Wirkung von Anziehung und Abstoßung, es wird ein virtueller Raum erzeugt, oder man könnte auch sagen: Das Bild strahlt in den Raum hinein. „Radiohorizont“ nennt Nadine Fecht ihre Zeichnung daher.

Die gesamte Ausstellung trägt den Titel „field recording“. Der Begriff steht für Tonaufnahmen mit Recordern draußen im Feld (und nicht im Studio). Im räumlich-visuellen Zusammenhang der Ausstellung könnte es aber auch um die Aufzeichnung, Bezeichnung und Sichtbarmachung von Feldern gehen, die sich ähnlich wie magnetische Felder, Kraftfelder oder Spannungsfelder in Naturwissenschaft und Technik verhalten.

Eine Visualisierung dieser Vorstellung liefert das „Echo“ an der Wand dem „Radiohorizont“ gegenüber. Die vielen zwei Millimeter großen Bleistiftfelder erinnern mit ihrem flimmernden Wellenmuster an die mikroskopische Oberflächen von Magnettonbändern oder Vinylschallplatten. Das „Echo“ könnte also die Ausstrahlungen des großen „Radiohorizonts“ eingefangen haben, die in ihrer psychologischen Wirkung vom Betrachter zwar bemerkt, aber nicht dingfest zu machen sind.

Um das Erscheinen und Wiedergeben von etwas Virtuellem geht es Nadine Fecht auch in den drei vergleichsweise kleinen Strichzeichnungen. Die feinen Strichmuster liefern exemplarisch verschiedene Zustände von Bleistiftlinien auf dem Papier. Durch verschiedenen Druck des Stiftes oder durch eine mit einer Papierkante angehaltenen Bewegung der Hand entstehen bestimmte Muster. Je nach Einwirkung der Kraft ergeben sich andere Strukturen, ähnlich als würde man lose Metallspäne einem Magneten aussetzen.

Schließlich hat Nadine Fecht jenen spannenden Moment, unmittelbar bevor aus verborgenen Energiequellen eine Form oder ein Klang entsteht, auch auf Schallplatte gepresst. „53 beginnings“ geben auf einer 33er Vinylplatte das Aufsetzen der Nadel und ihr Verweilen in der Rille während der ersten paar Sekunden wieder, bevor das Musikstück einsetzt und hörbar wird. Zu hören ist nur die knisternde Spannung vor der Emergenz des Eigentlichen.

Was Nadine Fecht in ihrer so komplexen wie großartigen Ausstellung zur Anhörung und Anschauung bringt, sind die verborgenen Felder, in denen sich die Kunst einschreibt. Es sind Möglichkeitsfelder und Potenzen, für die echte Künstler offenbar einen besonderen Sinn haben.

RONALD BERG

■ Galerie fruehsorge contemporary drawings, Heidestr. 46–52, Di. bis Sa. 11–18 Uhr. Bis 25. Februar