Ruhrfestspiele rekultiviert

100.000 Besucher stürmten beim Maifest den grünen Hügel. Die Verkaufszahlen steigen. Doch am Dienstag will ein Leichenzug die Kultur bei den Ruhrfestspielen theatralisch zu Grabe tragen

VON PETER ORTMANN

No fear, liebe Funktionärskaste. Die traditionsreichen Ruhrfestspiele in Recklinghausen sind wieder in ihrer Vergangenheit angekommen. Der Geist von Hamlet hat rekultiviert. Auch „Minna von Barnhelm“, „Emilia Galotti“, „Nathan der Weise“, Hedda Gabler und das Ballett „Romeo et Juliette“ bürgen dafür, dass die Gier nach Gold des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) befriedigt wird. Rund 49.000 Karten wurden bereits im Vorverkauf abgesetzt. Das sind doppelt soviel wie in der letzten Spielzeit unter dem Berliner Volksbühnen-Intendanten Frank Castorf, aber auch mehr als 2003, als noch Hansgünther Heyme über den grünen Festivalhaus-Hügel herrschte.

Ein Großteil des Verlustes des letzten Jahres wurden bereits wieder eingespielt. Wie das geht? Billig einkaufen. Billig produzieren. Ein paar namhafte Werbeträger und die Versicherung, dass es ganz bestimmt keine Berliner Akzente mehr trägt, auch wenn es das Berliner Ensemble vom Theater am Schiffbauerdamm – ideologischer Konkurrent der Volksbühne in der Bundeshauptstadt – mit bereits produzierten Inszenierungen noch einmal Euros verdienen kann. Getreu dem uralten Ruhrfestspiel-Motto: Kunst gegen Kohle.

Gestern stürmten erst einmal rund 100.000 Besucher den grünen Hügel beim traditionsreichen 1. Mai-Kulturvolksfest. Rekultivierung auch hier. Bier- und Wurstbuden statt Schlingensiefs Ruhrgebiets-Rallye. Stände des Verbraucherschutzes und des DGB. Ministerpräsident Peer Steinbrück (SPD) und DGB-Landesbezirkschef Walter Haas durften unwidersprochen Wahl- und Steinkohlewerbung machen. Den als Publikum getarnten und fähnchenschwingenden Genossen hat es jedenfalls gefallen. Alles rosa auf dem Hügel. Erstmal ein Pils und ne Wurst.

Erst am Dienstag machen Bochumer Studenten des Theaterwissenschaftlichen Instituts wieder Rabatz. An der Ruhruniversität gab es monatelang eine Vorlesungsreihe ihrer Professoren zu dem – für den DGB unrühmlichen – Abgang von Frank Castorf im vergangenen Jahr und die damit verbundene Frage nach der Zukunft der Kulturpolitik im Ruhrgebiet. Die jungen Theaterwissenschaftler organisierten einen theatralischen Trauerzug mit Sarg, Pastor und Trauergemeinde zum Festspielhaus und wollen damit „den DGB-Funktionären, die an diesem Tag die Wiederherstellung ihres Refugiums feiern, auf den Schlips treten“. Los geht es am Recklinghäuser Hauptbahnhof. Dozent Nikolaus Müller-Schöll hält eine Predigt. Auf der Liedertafel stehen: „Wir graben unsre Gräber“ und „Ave Maria“. Danach setzt sich der Zug mit Sarg und Endlosschleife „le Frank est mort“ in Bewegung.

18:00 Uhr, Recklinghausen Hbf