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Archiv-Artikel

Das Leben, nichts weniger

WARTEN AUF DIE GROSSE ÜBERFAHRT Bettina Haasens Dokumentarfilm „Hotel Sahara“ porträtiert junge Afrikaner, die von Europa träumen

Lamiya, ein zwanzigjähriger Mann aus dem afrikanischen Guinea, möchte unbedingt Fußballspieler werden. Er ist bisher keinem Talentscout aufgefallen, der ihm noch in Kindertagen einen Vertrag angeboten hätte, deswegen möchte er nun auf eigene Faust nach Europa, um es Gattuso und Eto’o gleichzutun und in einer der großen Mannschaften aufzulaufen. Aber Lamiya sitzt fest, schon seit einiger Zeit. Er wartet in der mauretanischen Stadt Nouadhibou auf die große Überfahrt zu den Kanarischen Inseln. Dort drüben gilt spanisches Recht, dort drüben ist Europa, aber wer sich auf eine der Pirogen der Menschenschmuggler wagt, riskiert sein Leben. Viele Menschen sitzen an dieser Küste fest, an der die ersehnten Länder so nahe sind wie kaum irgendwo sonst. Sie tragen die Konsequenzen für die strikte Einwanderungspolitik der europäischen Länder.

Einige von ihnen hat Bettina Haasen für ihren Film „Hotel Sahara“ porträtiert – junge Leute aus Afrika, die in ihrem Heimatländern keine faire Chance für sich sehen und alles auf eine Karte setzen. Sie träumen von einem Studium in New York oder einfach von einer Arbeit in Holland. Ihre Vorstellungen von den Ländern, in die sie es schaffen wollen, sind vage. Die 20-jährige Nigerianerin Chichi erwartet vor allem mehr Sauberkeit, der Staub und der Dreck in Afrika sind für sie eindeutige Zeichen der Unterlegenheit. Sie bewahrt ihre Würde in Nouadhibou, indem sie auf Jesus setzt. So kann sie sich auch der vielen eindeutigen Angebote erwehren, die einer alleinstehenden Frau an diesem Transitort gemacht werden.

Während Menschen, die im „Hotel Sahara“ festsitzen, ihre Tage irgendwie zubringen und versuchen, auf dem schwierigen lokalen Arbeitsmarkt ein wenig Geld zu verdienen, das sie an ihre Verwandten in Mali oder Kamerun schicken können, steigt vom Flughafen der Stadt jeden Tag ein Hubschrauber der spanischen Guardia Civil auf und sucht das Meer nach Booten ab. Wenn in den hohen Wellen eines kentert, weiß niemand genau, wie viele Opfer zu verzeichnen sind. Frontex heißt die europäische Grenzschutzagentur, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, die Grenzen dichtzumachen.

Bettina Haasen konzentriert sich in „Hotel Sahara“ auf die Situation in Nouadhibou. Sie sammelt Beobachtungen an einem Ort, an dem ein Hafen, ein Flughafen und ein Abschiebelager die wichtigsten Institutionen sind. Ein christlicher Prediger erinnert an eine Zeit, als die Heiligen drei Könige noch ohne Visum überall hinkamen. Das ist ein nicht minder utopisches Bild wie das von Lamiya, der sich im Geist in eine Welt wünscht, von der niemand weiter entfernt ist als er. Auf die immer wieder gestellte Frage, was die Migranten von Nouadhibou denn suchen, kommt fast durchweg eine emphatische Antwort: das Leben! Nichts weniger.

Dass zwischen dem Leben in Afrika und dem Leben in Europa ein grundsätzlicher Unterschied besteht, macht „Hotel Sahara“ mit angemessener Deutlichkeit klar. Afrika liefert immer noch die Sklaven, heißt es an einer Stelle, aber Europa ist vor diesem Angebot inzwischen sehr wählerisch geworden. BERT REBHANDL

■ „Hotel Sahara“. Regie: Bettina Haasen. Dokumentarfilm, Deutschland 2008, 85 Min. In den Kinos Central, Lichtblick und Moviemento