: Ganz schön schick
MYTHOS Das „Reisebuch Bauhaus“ lädt zu einer wilden Tour und Spurensuche durch die moderne Bau- und Designgeschichte von Weimar über Dessau bis nach Berlin ein
PHILIPP OSWALT, DESSAUER BAUHAUS
VON ROLF LAUTENSCHLÄGER
Wer mit Hochglanzbroschüren von Immobilienmaklern durch Berlin spazierte, könnte sich vor lauter „Häusern im Bauhausstil“ kaum retten. Damit einher ginge allerdings eine Täuschung – denn historische Objekte sind in diesen Broschüren nicht gemeint. Die Werbung der Investoren zielt vielmehr auf bauliche Chiffren für den hedonistischen Lebensstil sich modern gebender Stadtbürger: sachlich, weiß oder schnittig, gläsern, funktional oder klassisch gut gestaltet. Diese Bauhaus-Attribute ziehen immer.
Das Berliner Bauhaus-Archiv/Museum für Gestaltung hat gemeinsam mit dem Bauhaus Dessau und der Klassik Stiftung Weimar nun ein anderes „Bauhaus Reisebuch“ aufgelegt: Dieses begibt sich auf ganz eigene Weise auf Spurensuche nach den Originalen, insbesondere denen in der „Bauhausstadt Berlin“, und blickt auf deren Wirkungsgeschichte zurück – aktuelle Investitionsprojekte natürlich ausgeschlossen.
Denn weil die Büchertische längst zusammenbrechen unter dem Gewicht des epochalen Architekturthemas, haben die Autoren keine erneute und damit ermüdende Bauhaus-Geschichte nacherzählt. Das „Reisebuch“ ist vielmehr eine spannende ästhetische Collage aus Fotografien, Bildern, Texten und Grafiken sowie einem hindernislaufartigen und zugleich weitläufigen Berlin-Parcours aus Geschichte und Gegenwart. Die Leser – und das Bauhaus selbst – machen eine wilde, großstädtische Reise von den 1920er Jahren bis heute.
„Dem neuen Reisebuch geht es nicht darum, historisch korrekt die Bauhaus-Geschichte abzuschreiten“, sagte Philipp Oswalt, Direktor am Dessauer Bauhaus, am Mittwoch bei der Buchpräsentation. „Das Buch will Bezüge herstellen, Netzwerke offenlegen und umfassend auf die Frage antworten, wie vielgestaltig sich das Bauhaus darstellte und in welch unterschiedlichen Kontexten es sich entwickelte“. Ein Reiseführer? Fehlanzeige!
Nachdem man die beiden großen Kapitel über Weimar und Dessau, die Wiegen der Architektur- und Designschule (1919 bis 1933) hinter sich gelassen hat, findet man im Berlinkapitel an zahlreichen Beispielen die Antworten auf diesen legendären Bauhaus-Kosmos. Und: Das einstige „Gesamtkunstwerk Bauhaus“ aus Architektur, Design, Malerei, Bildhauerei und Technik, wie sein Gründer Walter Gropius es nannte, war nicht nur komplex und vielschichtig. Die Ikone der Moderne lässt im Buch auch Spielraum für Ironie und „Nebenwege“, so Oswalt.
Dort, wo sich vor genau 80 Jahren (1932) die Designschule nach ihrer Flucht vor den Nazis aus Dessau in Berlin niederließ, gibt es heute gar kein Bauhaus mehr. Ludwig Mies van der Rohes backsteinerne Telefonfabrik in Steglitz ist abgerissen. Auch führt das „Reisebuch“ zurück zu den Anfängen des Neuen Bauens: zu Peter Behrens AEG-Turbinenfabrik (1910) in Moabit oder zu den Künstlern der klassischen Moderne wie Paul Klee oder Picasso, deren Werke im Bauhaus-Archiv oder in der Sammlung Berggruen zu finden sind.
Will man den originalen steinernen Bauhaus-Mythos aber erleben, navigieren die Autoren den Leser durch halb Berlin, so umfangreich war die Bauhaus-Bautätigkeit: Von Max Tauts Kreuzberger Buchdruckerhaus (1926) über die Gropius-Häuser am Zehlendorfer Fischtal (1928) bis zum idealen Kubus in Lichtenberg, dem „Haus Lemke“ (1933) von Mies van der Rohe, reihen sich Magnetpunkte, die im Buch mit politischen oder literarischen Ausschmückungen illustriert werden. „Ohne Berlin wäre das Bauhaus nicht denkbar“, sagte Annemarie Jaeggi, Chefin am Bauhaus-Archiv. Die moderne Großstadt Berlin regte die Künstler zu ihren Bauwerken an.
Am Ende des neuen „Reisebuchs“ landet der Reisende bei der kriegs- und NS-bedingten Migrationsgeschichte vieler Bauhäusler sowie ihren Meisterwerken bei kurzzeitiger Rückkehr nach Berlin. Hier hätte man etwa das Hansaviertel (1957) oder Mies van der Rohes Neue Nationalgalerie (1968) ruhig aussparen können – Letzere ist bekannt wie ein bunter Hund. Umso bemerkenswerter ist, dass die Autoren den gläsernen Kant-Garagenpalast (1930), eines der ersten Parkhäuser der Stadt, sowie Franz Ehrlichs Funkhaus Berlin (1952) würdigen. Beide sind vom Verfall bedroht.
Infos: www.bauhaus.de