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Archiv-Artikel

Landeschef im Spagat

NRW-Ministerpräsident Steinbrück versucht sich als Arbeiterführer. Doch die Heuschrecken-Debatte hilft ihm im Wahlkampf bisher nicht

BERLIN taz ■ Vorne applaudieren die Gewerkschafter, aus den hinteren Reihen schallt es „Märchenonkel!“ und „Hartz IV muss weg!“: Zwar musste der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Peer Steinbrück (SPD) nicht wie sein Parteivorsitzender Franz Müntefering im benachbarten Duisburg vor Eiern flüchten – als Erfolg im Landtagswahlkampf verbuchen kann er seinen Auftritt bei der DGB-Kundgebung zum 1. Mai in Gelsenkirchen aber nicht. Dabei hatte sich der Sozialdemokrat am Tag der Arbeit in die länger werdende Schlange der Kapitalismuskritiker eingereiht: „Wenn sich Manager die Taschen voll machen und bei hohen Renditen Arbeitsplätze abbauen, ist das keine soziale Marktwirtschaft mehr“, sagte er vor rund 3.000 Zuhörern.

Steinbrück versucht im Wahlkampf einen Spagat: Einerseits kritisiert er das von seinem Parteivorsitzenden Franz Müntefering als „marktradikal und asozial“ definierte „Heuschrecken“-Kapital, andererseits versucht er, das Unternehmerlager nicht zu verschrecken. Konkrete Schritte zur Eindämmung des Kapitalismus lehnt Steinbrück ab: „Es muss jetzt nicht gleich der Instrumentenkasten gesetzgeberischen Handelns geöffnet werden“, sagte er am Wochenende in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung. Er hoffe stattdessen auf einen Wertewandel.

Die Gewerkschafter des größten Bundeslandes geben sich mit Steinbrücks Verbaloffensive zufrieden. NRW als „Kernland der sozialen Marktwirtschaft“ dürfe „nicht dem Neoliberalismus“ überlassen werden, sagte der DGB-Landesvorsitzende Walter Haas. Der Vorsitzende der DGB-Region Emscher-Lippe, Josef Hülsdünker, bedankte sich dafür, dass sich „der Ministerpräsident am Tag der Arbeit bei den Gewerkschaften unterhakt.“

Steinbrücks Wahlchancen steigert die Kapitalismusdebatte jedoch offenbar nicht: Laut einer neuen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Infratest dimap im Auftrag des WDR liegt die SPD bei nur 34 Prozent, 1 Prozentpunkt weniger als vor zwei Wochen. Rot-Grün hat damit weiter 9 Prozentpunkte Rückstand auf Schwarz-Gelb. „Die Kritik am Kapital schafft lediglich ein Feindbild, ihr fehlt etwas Positives“, bemängelt der Parteienforscher Karl-Rudolf Korte von der Universität Essen/Duisburg. Die SPD-Kampagne könne zwar emotionalisieren – in Verbindung mit der Person Steinbrück funktioniere sie jedoch „nicht hundertprozentig“, sagte Korte zur taz. „Steinbrück bleibt immer in seiner früheren Rolle als Finanzminister. Das muss angesichts der ökonomischen Probleme des Landes nicht schlecht sein. Aber als Arbeiterführer wirkt er angelernt.“ KLAUS JANSEN