: Ex-Botschafter in Kiew kritisiert Fischer-Erlass
Diplomat bezeichnet Anweisung vom März 2000, „im Zweifel für die Reisefreiheit“ zu entscheiden, als einen „gefährlichen Schwachpunkt“ bei der Visa-Vergabe. ARD berichtet über andauernde Missstände in Russland
BERLIN ap ■ Eine Woche nach der Vernehmung von Außenminister Joschka Fischer hat im Visa-Untersuchungsausschuss der frühere Botschafter in Kiew die Einreisepolitik der rot-grünen Regierung scharf kritisiert. Der Erlass vom März 2000 („Im Zweifel für die Reisefreiheit“), den Fischer selbst als „Fischer-Erlass“ bezeichnet hatte, sei ein „gefährlicher Schwachpunkt“ gewesen und habe zu einer „geringeren Prüfintensität“ geführt, erklärte der Diplomat Eberhard Heyken. Nach einem ARD-Bericht geht der Visa-Missbrauch in Russland immer noch weiter.
Der 69 Jahre alte Diplomat Heyken sagte, es habe sich in der Ukraine „schnell herumgesprochen“, dass bei der deutschen Botschaft Visa leichter zu bekommen seien, auch dass die Ablehnungsquote niedriger sei als in den Konsulaten anderer Schengen-Staaten. Als falsch bezeichnete Heyken jedoch den Schluss, nach dem Erlass sei die Zahl der Visa-Anträge sprunghaft gestiegen. Als Folge des Erlasses sei aber die Ablehnungsquote von über drei auf unter zwei Prozent gesunken. In anderen Schengen-Staaten habe die Ablehnungsquote bis zu 30 Prozent erreicht.
Heyken, der von 1996 bis 2000 Botschafter in Kiew war, erklärte, der Anteil der erschlichenen Visa sei seinerzeit nicht zu erkennen gewesen. Die Aussage des Diplomaten, der derzeit für die OSZE in Minsk tätig ist, war von zahlreichen Erinnerungslücken geprägt. Er konnte sich beispielsweise nicht erinnern, ob er mit Außenminister Fischer bei dessen Besuch in Kiew am 23. Juni 2000 auch über die Erlasslage gesprochen habe. Zuvor hatte der Botschafter in Berichten an das Auswärtige Amt Bedenken geäußert.
Fischer hatte nach der Visite für eine Personalaufstockung und für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen gesorgt, um dem Konsulat die Bewältigung der Antragsflut zu ermöglichen. Heykens Nachfolger, der derzeit in Kiew amtierende Botschafter Dietmar Stüdemann, hatte bereits im Ausschuss ausgesagt. Nach seinen Worten war die Botschaft nicht für den Visa-Missbrauch verantwortlich.
Nach Recherchen des ARD-Magazins „Report München“ können aus Russland Personen weiter mit erschlichenen Visa problemlos nach Deutschland einreisen. Entgegen anders lautenden Angaben Fischers fänden effektive Kontrollen bis heute nicht statt. So könnten erschlichene Visa in Moskauer Reisebüros gekauft werden. Hunderte von Büros böten in Anzeigen gegen Dollar oder Euro entsprechende Dienste an. Ein persönliches Erscheinen der Antragsteller im deutschen Konsulat sei für den Erhalt der Einreisegenehmigung nicht erforderlich.
Das Auswärtige Amt hat unterdessen alle angeforderten Visa-Akten bei der EU-Kommission eingereicht, wie der Sprecher von EU-Justizkommissar Franco Frattini bestätigte. Er dementierte zugleich einen Berichte, wonach sich Frattini bereits am Freitag zu der Prüfung äußern wolle. Die EU-Kommission geht derzeit einer Anfrage des CSU-Europaabgeordneten Joachim Würmeling nach, ob die Berliner Visa-Regelungen mit EU-Recht in Einklang stehen.