„Das ist ein Pseudoereignis“

Wird die ganze Welt entsetzt zuschauen, wenn Neonazis Richtung Brandenburger Tor marschieren? Nicht unbedingt, sagt Richard Bernstein, US-Korrespondent in Berlin

taz: Herr Bernstein, in Berlin befürchtet man einen weltweiten Imageschaden, falls am 8. Mai Horden von Neonazis zum Brandenburger Tor marschieren. Wie werden Sie über die Ereignisse berichten: Drohen uns auch in der New York Times riesige Negativ-Schlagzeilen?

Richard Bernstein: Ehrlich gesagt hat die Zentrale in New York noch gar kein Interesse an dem Thema angemeldet. Ich habe jedenfalls noch keinen Anruf bekommen. Wir werden das also vermutlich nur im bescheidenen Rahmen behandeln.

Wie darf man sich das geringe Interesse erklären?

Das hat verschiedene Gründe. Zum einen ist auch der 8. Mai nur ein Jahrestag, also eine Art Pseudoereignis. Was an diesem Tag in Berlin passiert, ist natürlich nicht unwichtig, aber die Ereignisse sind doch sehr vorhersehbar. Man könnte alle zehn Jahre die gleichen Berichte schreiben – zum fünfzigsten Jahrestag, zum sechzigsten und zum siebzigsten. Bisher habe ich auch keine großartigen neuen Thesen in der deutschen Debatte um den Jahrestag entdeckt. Und in den USA wird der Hauptfokus der Berichterstattung einfach auf George Bush liegen und seiner Reise zu den russischen Gedenkfeiern in Moskau.

Würden selbst Glatzköpfe und Nazi-Parolen vor dem Brandenburger Tor oder dem Holocaust-Mahnmal nichts an dieser Gewichtung ändern?

Natürlich kann ich nicht ausschließen, dass meine Redaktion ihre Pläne am Wochenende kurzfristig umwirft und die Ereignisse in Berlin plötzlich ein großes Thema sind. Ich fände es aber falsch, der Berichterstattung über einen Aufmarsch von Rechtsextremen in Berlin zu viel Platz einzuräumen. Damit würde man den Neonazis zu einem Erfolg verhelfen, den sie nicht verdienen. Denn objektiv betrachtet ist ihr politischer Einfluss in der Bundesrepublik marginal. Sie spielen sogar ein weit geringere Rolle als zum Beispiel die FPÖ in Österreich oder der Front National in Frankreich.

Gehen wir Deutschen also zu hysterisch mit Jahrestagen wie dem 8. Mai um?

Nein, ich finde es gut, dass man die Nazi-Vergangenheit in der Bundesrepublik so ernst nimmt. Es ist auch verständlich, dass man wegen der Hitler-Zeit in Deutschland einen anderen Umgang mit Meinungs- und Versammlungsfreiheit hat als in den USA. Aber realistisch betrachtet besteht keine Gefahr, dass die Neonazis in absehbarer Zeit wieder eine mächtige politische Kraft in Deutschland werden.

INTERVIEW: ASTRID GEISLER