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Archiv-Artikel

Theatralische Lösungen für reale Konflikte

Das Kölner Forumtheater Kannadi sucht in Zusammenarbeit mit seinem Publikum nach Wegen aus der alltäglichen Diskriminierung von Migranten. In Brasilien, der Heimat des „Theater der Unterdrückten“, sind so Gesetze entstanden

Die Geschichte von „Nur das Beste für Dich, mein Kind“ ist kurz erzählt: Ella Du ist eine gute Schülerin, besonders der Deutschunterricht hat es ihr angetan. Aber weil sie Ausländerin ist, gibt ihr die Lehrerin eine Vier. Ellas Mutter beschwert sich. Doch die Lehrerin bleibt stur: Eine Vier sei für Ella gar nicht so schlecht. „Schließlich ist Deutsch nicht ihre Muttersprache.“ An dieser Stelle wendet sich die Kölner Theatergruppe Kannadi ans Publikum: Was könnte Frau Du sagen, um die Lehrerin von ihrer Haltung abzubringen? Wer eine Idee hat, soll auf die Bühne kommen und die Rolle selbst spielen.

Die Interaktion zwischen Schauspielern und Publikum und die gemeinsame Suche nach Lösungen für reale Konflikte ist die Grundidee des „Forumtheaters“. Seit 2002 experimentiert Kannadi (Tamilisch für „Spiegel“) mit dieser Form des Theaters. Die Stücke entwickeln die Mitglieder der gemischten Laienschauspieltruppe gemeinsam. „Eine unserer Frauen hat tatsächlich von einem Schuldirektor gehört: ‚Türken machen bei uns sowieso kein Abitur‘“, erzählt Maria Gorius, eine der beiden Theaterpädagoginnen, die das Forumtheater leiten. Oft seien Diskriminierungen jedoch subtiler, findet die Iranerin Mahnaz Mahmood, die die Frau Du spielt. „Deshalb habe ich lange selbst nicht begriffen, was bei meinem Sohn in der Schule falsch läuft.“

Bei Kannadi-Aufführungen kann das Publikum neuerdings in der „legislativen Phase“ auch Gesetzesvorschläge machen. Über die meist genannten stimmt das Theaterparlament am Ende des Abends ab. „Neulich wurde vorgeschlagen, interkulturelles Training zum Pflichtfach in der Lehrerausbildung zu machen“, erzählt Gorius‘ Kollegin Friederike Wilkens-von Hein.

In Rio de Janiero sind aus Initiativen von „Legislativen Theatern“ schon Gesetze entstanden. Hier entwickelte der Theaterpädagoge Augusto Boal in den 60er Jahren das Forumtheater als eine Form des „Theaters der Unterdrückten“. Als Boal 1992 bis 1996 für die Arbeiterpartei PT im Stadtrat von Rio saß, initiierte er dort Legislative Theater. Die erarbeiteten mit ihrem Publikum in den vier Jahren von Boals Amtszeit 34 Gesetzesvorschläge, von denen 13 in kommunales Recht übernommen wurden.

In Köln ist es bis dahin noch ein weiter Weg: „Wir müssen noch Ideen entwickeln, wie wir die Vorschläge des Publikums weitergeben“, sagt Wilckens-von Hein. Immerhin: Mit dem Kölner Antidiskriminierungsbüro hat Kannadi bereits einen Kooperationspartner gefunden. Gorius: „Das Büro sammelt unsere Vorschläge und will dann damit arbeiten.“ SUSANNE GANNOTT

Heute spielt Kannadi im Rahmen eines Kongresses von Pax-Christi im Katholisch-Sozialen Institut in Bad Honnef (19 Uhr, Selhofer Straße 11) Morgen gibt es in Köln Forumtheater mit der Aktionstheatergruppe Halle im Bürgerzentrum Vingst (16.30 Uhr, Würzburgerstr. 11a)