ORTSTERMIN: DIE LANGE NACHT DER AUFGESCHOBENEN HAUSARBEITEN
: Hildesheimer Nächte sind lang

„Manche kommen erst zu mir, wenn ihnen schon alles über den Kopf gewachsen ist“

GYDE MISFELDT, SCHREIBBERATERIN

Es ist kurz nach acht. Ein Mann führt seinen Hund spazieren. Normalerweise ist die Universität Hildesheim um diese Zeit schon geschlossen. Doch heute ist das Gebäude hell erleuchtet. Die große Schiebetür geht auf und zu, es ist ein Kommen und gehen. „Wir bieten Studierenden in dieser Nacht die Möglichkeit, bis drei Uhr morgens bei uns an ihrer Hausarbeit zu arbeiten“, sagt Irene Pieper. Sie leitet das Lese- und Schreibzentrum der Uni, das die „Lange Nacht der aufgeschobenen Hausarbeiten“ zum dritten Mal veranstaltet.

Die ersten sind schon da. Bücher stapeln sich auf Tischen, daneben gelbe Notizzettel. Ein junger Mann hat sich Energydrinks mitgebracht. Er will einen Vortrag für die nächste Woche fertig machen, hofft, dass er die Nacht durchhält. Es ist sehr ruhig, nur das klackern der Computertastaturen tönt durch den Raum und das quietschen von Textmarkern auf Arbeitsblättern.

Dass man nach einem unproduktiven Tag nicht frustriert ins Bett geht, sondern in der Uni nochmal „Power gibt“, das sei die Chance, die die lange Nacht biete, sagt Pieper. Das gemeinsame Schreiben in der Nacht lasse eine besondere Atmosphäre entstehen. „Fleiß ist ansteckend“, sagt sie, und wenn alle Studenten im Raum an ihren Hausarbeiten sitzen, reiße das auch die mit, die keine Lust haben.

Kai will an diesem Abend eine Hausarbeit fertig schreiben. Immanuel Kant und der ewige Frieden ist das Thema, und er will nun endlich „einen Punkt setzen“.

„Die meisten, die hier sind, wollen einfach nur in Ruhe an ihrer Arbeit schreiben“, sagt die Schreibberaterin des Lese- und Schreibzentrums, Jana Ziegenhagen. Sie und die anderen Mitarbeiter wollten die Studenten auch nicht überbetreuen. „Wir bieten Hilfe zur Eigenhilfe an“, sagt sie. Um 23 Uhr gibt es eine Speedberatung, bei der Studierende sich gegenseitig Tipps für den Schreibfluss geben.

Auch geschultes Personal vom Lese- und Schreibzentrum bietet Hilfe an. Die 20-jährige Gyde Misfeldt ist selbst noch Lehramtsstudentin und wurde für ihren Job als Schreibberaterin auf einer Fortbildung vorbereitet. Sie hilft Kommilitonen, wenn die kein Thema finden, oder nicht wissen, wie sie den Berg von Arbeit angehen sollen. „Manche kommen erst zu mir, wenn ihnen schon alles über den Kopf gewachsen ist“, sagt sie. „Andere gehen strukturiert vor und brauchen nur noch Hilfe bei einer letzten Kleinigkeit.“

Imke hat in dieser Nacht mit ihrer Hausarbeit im Fach Kulturwissenschaften angefangen. Sie ist zufrieden. „Ich habe Literatur rausgesucht und eine Gliederung erstellt“, sagt sie. Außerdem ist ihr gerade klar geworden, was sie nach ihren Bachelor machen will. „Theaterpädagogik in Berlin“, sagt sie und strahlt.

Um ein Uhr nachts sind nur noch zehn Leute da, schauen konzentriert auf die Computer. Ab und an gähnt jemand. „Vielleicht ist der Termin mitten in den Semesterferien schlecht, da machen viele unserer Studenten noch ein Praktikum“, sagt Ziegenhagen. Am Datum ist aber schwer zu rütteln, da die Nacht an 13 Universitäten stattfindet.

Um halb vier ist es genug. Ein letztes Mal geht die Tür auf. „Gute Nacht“, ruft ein Mädchen den anderen zu, bevor sie in der Dunkelheit verschwindet.LINA SULZBACHER