Keine Bagatellen fürs Verkehrsgericht

War die Bauwagen-Demo „Einmal im Leben pünktlich sein“ mit 100 Wohn-LKW eine politische Versammlung oder Nötigung? Pilotverfahren gegen drei von 48 Angeklagten soll Klarheit bringen

In einem heute beginnenden Verfahren wegen Nötigung möchten drei Bauwagenbewohner gern den Spieß umdrehen und „Hamburg den Prozess machen“. Mit diesem Slogan wollen sie ein Zeichen für das Leben in rollenden Unterkünften und für die Versammlungsfreiheit setzen. Ähnlich war der Tenor der gestrigen Solidemo zum Prozessauftakt, an der wegen Polizeiauflagen nur vier Laster teilnehmen durften. Rund 300 Demonstranten und 800 Polizisten zogen am frühen Abend vom Schanzenviertel zur Hafenstraße, bis Redaktionsschluss ohne besondere Vorkommnisse.

„Einmal im Leben pünktlich sein“ lautete das Motto, unter dem sich am 24. April vorigen Jahres um 6.45 Uhr mehrere hundert Menschen mit 100 Wohn-Lkw auf der Hafenstraße in St. Pauli versammelten. Mit dieser „bundesweiten Demonstration“ sollte gerade in Hamburg, wo besonders restriktiv gegen diese alternative Lebensform vorgegangen wird, für das Leben in Fahrzeugen geworben werden. Neben Redebeiträgen aus dem Lautsprecherwagen sollte es Inforunden und ein Straßenfest geben sowie die rollenden Wohnungen für Interessierte zur Besichtigung offen stehen. Und da sich mit dem früheren GAL- und Regenbogen-Abgeordneten Norbert Hackbusch ein „Anmelder“ gefunden hatte, waren alle Kriterien einer grundgesetzlich geschützten Versammlung erfüllt.

Doch die Einsatzleiter – die zunächst ebenfalls von einer Versammlung ausgegangen waren – forderten plötzlich die Auflösung mit der Begründung, es handele sich um eine Straßenblockade, und ließen ihre Truppen noch vor Ablauf eines Ultimatums zum Sturm antreten. Bei vielen Wohn-Lkw wurden die Scheiben zerschlagen, Lenkradschlösser geknackt und die Wagen kurzgeschlossen und weggefahren.

48 Personen bekamen Strafbefehle in Höhe von 1.000 bis 1.500 Euro wegen Nötigung. Vor allem diejenigen, die sich bei der mehrstündigen Polizeiaktion kooperativ zeigten und ihre Gefährte selbst wegfuhren – getreu der Polizeilogik, so eine Halterin, „dass die, die ihre Fahrzeuge wegfahren, sie auch hingefahren haben“.

Zunächst wollte die hanseatische Justiz diese Personen in 48 Einzelverfahren aburteilen. Doch im ersten Prozess am 24. Februar merkte Amtsrichter Lutz Nothmann schnell, dass es sich nicht um Verkehrsbagatellen handelt, sondern Grundrechtsfragen tangiert sind (taz berichtete). Er plädierte dafür, mehrere Fälle zusammenzulegen.

Inzwischen hat sich die Justiz auf ein Prozedere geeinigt: Der heutige Prozess gegen drei Angeklagte wird als „Pilotverfahren“ bis zur Revision beim Oberlandesgericht geführt. Die anderen Verfahren ruhen solange. KAI VON APPEN