: Die geschundene Skulptur
BILDERSTURM UND AVANTGARDE In Stuttgart schlägt die Ausstellung „Archivo F.X. / Pedro G. Romero“ überraschende Bogen vom Spanischen Bürgerkrieg zu Beuys’ „Friedenshasen“
VON GABRIELE HOFFMANN
Kaputte Welten klammern sich an Bilder, die an einstige Größe erinnern. Bilder, die für den politischen Gegner zur Zielscheibe werden. Einen exemplarischen Ikonoklasmus erlebte Spanien während des Bürgerkriegs (1936 bis1939), als die verarmten Massen zusammen mit Anarchisten und Sozialisten den Rechten und der katholischen Kirche erbitterte Kämpfe lieferten.
Der spanische Künstler Pedro G. Romero ist den fotografischen Spuren dieser Zeit nachgegangen. Fanal seiner Ausstellung „Archivo F.X.“ ist das Foto von einer geschundenen Skulptur: dem Kopf des heiligen Isidor von Sevilla mit leeren Augenhöhlen unter einer mächtigen Mitra. Der Erzbischof, der 636 starb, überlieferte der Nachwelt das Wissen der Antike in zwanzig Bänden.
„Wirtschaft, Ökonomie, Konjunktur“, das sind die Stichworte für Romeros Selektion zum Bildersturm aus seinem „Archivo F.X.“. In ihm hat der Künstler über tausend Bild-, Text- und Tondokumente des antiklerikalen Ikonoklasmus in Spanien zusammengetragen. In der Ausstellung verknüpft er sie mit internationalen Positionen der Avantgarde.
Zentrum der Ausstellungsarchitektur ist ein dreieckiger Tisch mit Literatur zum Thema und drei Dokumentarfilmen aus der Bürgerkriegszeit: „Kreuzweg des Herrn auf spanischem Boden“ (1940), „Helden in Spanien“(1938) und „Reportage zur revolutionären Bewegung“. Sie konfrontieren den Besucher mit tendenziösen Darstellungen der Ereignisse. Fotografien von zerstörten Kirchen und geplündertem religiösem Inventar: Zeugnisse der Wut der Linken auf eine klerikal-faschistische Politik, die nach Spaniens Zweiter Republik Franco in die Hände spielte.
Das zentrale „Geschichtsseminar“ ist ein Inszenierungstrick, der den Besucher konditioniert für das, was durch die Ausstellungsarchitektur zur „begehbaren Montage“ wird. Und weil die Struktur des „Archivo F.X.“ von Romeros Sinn für Unerwartetes, für Erweiterung des einmal Erkannten zeugt, wagt es die anspruchsvolle Schau, den Besucher durch alle Arten von Transformation und Bezugnahme zwischen Ikonoklasmus und Avantgarde, Säkularisation und Ökonomie zu geleiten: So stößt etwa eine Münze, auf der das Wort „katholisch“ entfernt wurde, auf Antiglobalisierungsgegner.
Dann gibt es den „Salon d’Or“, außen rohes Holzgestänge mit Pressspan, innen Prada-Boutique, in der Dada-Schriften von Hugo Ball und Gedichte von Emmy Hennings zu entdecken sind. Balls Lautpoem „Karawane“, uraufgeführt im Cabaret Voltaire 1916 in Zürich, erlebt eine furiose Neuvertonung durch das Flamenco-Duo Inés Bacán und Thomás de Perrate, aufgenommen auf CD.
Das „White Cube“-Label ist in Stuttgart reserviert für die Bilderserie „Wandlung“, darunter Aufnahmen von einem Haufen Kirchenglocken aus Barcelona, die auf das Umschmelzen in Kriegsgerät warten. Hier bekommt auch der „Friedenshase“ von Joseph Beuys seinen Auftritt – Fake des Originals in der Stuttgarter Staatsgalerie, das aus einer eingeschmolzenen Replik der Zarenkrone Iwans des Schrecklichen entstand.
Und dann gibt es noch den „Black Cube“: „Das Kapital: Der Fetischcharakter der Ware und sein Geheimnis“ lautet Romeros Archiveintrag, bei dem es um eine kleine Sequenz aus dem 1937 von der Gewerkschaft C.N.T. produzierten Film „Unsere Schuldigen“ und um Projekte von Sergei Eisenstein, Guy Debord und Alexander Kluge zu dem entsprechenden Kapitel in Marx’ „Kapital“ geht. Man wird Zeuge, wie ein Drucker die 8.000 Einzelbilder der Filmsequenz auf Papier druckt, das sich anschließend auf einer Waage stapelt.
Wem in den drei Innenräumen Absurdes in den Sinn kommt, der ist reif für die Außenseiten der Holzstellagen mit Bildern und Texten von noch mal ganz anders tickenden Künstlern, Filmautoren, Philosophen. So wie sie die Verhältnisse neu betrachten lehrt, bringt diese „Archivmaschine“ die Verhältnisse buchstäblich zum Tanzen.
■ Württembergischer Kunstverein Stuttgart, bis zum 29. 4.