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Archiv-Artikel

Wenn Milchmädchen träumen

HITPARADE Der ehemalige Bundespräsident wird heute mit einem Großen Zapfenstreich verabschiedet. Richtig? Falsch? Egal! Die taz präsentiert die Stücke zum Mitsingen – und erklärt, was diese Auswahl über Christian Wulff sagt

VON DENIZ YÜCEL

„Ode an die Freude“

Malträtiert von einer Bürokratenvereinigung namens EU, missbraucht für etliche Werbespots, zweckentfremdet zur Eröffnung von Boxkämpfen und Friseursalons, ist das Finale von Beethovens 9. Sinfonie samt der Verse von Schiller zu einem Gassenhauer verkommen. Und doch gehört dieses Stück voller Zuversicht und Sinnesfreude zum Besten, was die deutsche Lyrik je hervorgebracht hat. Pathetisch gewiss, aber glaubwürdig und deshalb ergreifend. Es geht um Aufbruch, Revolution, Elysium. Was aber hat das mit Wulff zu tun? Will er uns damit ein fröhlich-trotziges „Leckt mich am Arsch“ entgegenschleudern? Geht es ihm um das Motiv der Verbrüderung? Oder, wie manche kalauern werden, um das Umschlingen der Millionen? Nein. Die Dinge sind, wie stets bei Wulff, entsetzlich banaler: Was Klassisches wäre gut, wird er gedacht haben. Was von Beethoven. Das Ba-ba-ba-baaaam. Oder doch das mit der Freude. Da kann jeder mitsingen und mitschunkeln. Wie auch er gerne ein Präsident zum Mitschunkeln gewesen wäre. Ein Dutzendgesicht. Einer von uns halt.

Freude, schöner Götterfunken,Tochter aus Elysium,wir betreten feuertrunken,Himmlische, dein Heiligtum!Deine Zauber binden wieder,was die Mode streng geteilt;alle Menschen werden Brüder,wo dein sanfter Flügel weilt.Wem der große Wurf gelungen,eines Freundes Freund zu sein,wer ein holdes Weib errungen,mische seinen Jubel ein!Ja, wer auch nur eine Seelesein nennt auf dem Erdenrund!Und wer’s nie gekonnt, der stehleweinend sich aus diesem Bund.Freude trinken alle Wesenan den Brüsten der Naturalle Guten, alle Bösenfolgen ihrer Rosenspur.Küsse gab sie uns und Reben,einen Freund, geprüft im Tod;Wollust ward dem Wurm gegeben,Und der Cherub steht vor Gott!Froh, wie seine Sonnen fliegenDurch des Himmels prächt’gen Plan,laufet, Brüder, eure Bahn,freudig, wie ein Held zum Siegen.Seid umschlungen, Millionen.Diesen Kuss der ganzen Welt!Brüder! überm Sternenzeltmuss ein lieber Vater wohnen.Ihr stürzt nieder, Millionen?Ahnest du den Schöpfer, Welt?Such ihn überm Sternenzelt!Über Sternen muss er wohnen.

„Alexandermarsch“

Das Niedersachsenlied („Wir sind die Niedersachsen / Sturmfest und erdverwachsen“) hat sich Wulff aus naheliegenden Gründen nicht getraut. Stattdessen wählt er diesen preußischen Militärmarsch, um zu zeigen: Ich kann auch zackig und männlich, ich kann scheppernd und donnernd! Ich kenne die Tradition dieses Amtes und bin seiner würdig. Und ich hätte den Politikern noch den Marsch geblasen! Ich bitte, das im Protokoll zu vermerken!

Tschäng, Tschä-tschä-tschängBarrramm, tuff tuff tuffPalämm pämmpämm Palämm pämmpämmDading, dading, dadumm dumm dumm!Palimm pimmpimm, Palimm pimmpimmTschäng-da, Tschäng-da Tschingderassa bummKlingel-di-klingel-di Kling kling kling!

„Somewhere Over the Rainbow“

Kitsch. In der Coverversion des hawaiianischen Sängers Israel Kamakawiwo’ole immerhin noch Edelkitsch, grauenhafter Kitsch im Original aus dem Film „Der Zauberer von Oz“ (1939), wo eine blond bezopfte Judy Garland auf Strohballen herumturnt und sich zu einer schmalzigen Melodie in ein Land wünscht, in dem der Himmel blau ist, die Vögel übern Regenbogen fliegen und Sorgen dahinschmelzen wie Zitronenbonbons. So hört es sich an, wenn Milchmädchen träumen, ehe sie sich vom erstbesten Schweinebauern hinter der Scheune schwängern lassen und ihre Mädchenträume an ihre Töchter weiterreichen. Vielleicht will Wulff mit diesem Stück sagen, dass er lieber irgendwo anders wäre, wo das Wetter besser ist und die Menschen netter sind. Aber weg vom Fenster ist er sowieso. „Somewhere Over the Rainbow“ ist daher bei Wulff kein Lied über Fernweh, sondern eine Klage: Die böse Welt hat mich aus meinem Träumen gerissen. Wieso kann ich nicht dorthin zurück? Schnüff!

Somewhere over the rainbowWay up high,There’s a land that I heard ofOnce in a lullaby.Somewhere over the rainbowSkies are blue,And the dreams that you dare to dreamReally do come true.Someday I’ll wish upon a starAnd wake up where the clouds are farBehind me.Where troubles melt like lemon dropsAway above the chimney topsThat’s where you’ll find me.Somewhere over the rainbowBluebirds fly.Birds fly over the rainbow.Why then, oh why can’t I?If happy little bluebirds flyBeyond the rainbowWhy, oh why can’t I?

„Da berühren sich Himmel und Erde“

Mit Christoph Lehmanns Kirchenlied aus dem Jahr 1989 läuft Wulff noch einmal zur großen Form auf: Wo eine schlichte Melodie auf Kirchentagsromantik trifft, sich „schenken“ auf „bedenken“ reimt und „verbünden“ auf „überwinden“, ist er wieder da, der nette Schwiegersohn, der kleine Christian aus Osnabrück, der ganz groß herauskommen wollte, aber nie jemandem wehtun. Und, so wird er sich gedacht haben: Das mit dem „neu beginnen“ ist pffifig. Ich werde ja auch die alten Wege verlassen und etwas Neues beginnen. Hihi, wie doppelsinnig! Schade nur, dass es danach endgültig vorbei ist.

■ Donnerstag, 19 Uhr, live in der ARD, Kommentatoren: Ulrich Deppendorf und Oberstleutnant Peter Altmannsperger

Wo Menschen sich vergessen, die Wege verlassenund neu beginnen, ganz neu.Da berühren sich Himmel und Erde,dass Friede werde unter uns.Da berühren sich Himmel und Erde,dass Friede werde unter unsWo Menschen sich verschenken, die Liebe bedenkenund neu beginnen, ganz neu.Da berühren sich Himmel und Erde,dass Friede werde unter uns.Da berühren sich Himmel und Erde,dass Friede werde unter uns.Wo Menschen sich verbünden, den Hass überwindenund neu beginnen, ganz neu.Da berühren sich Himmel und Erde,dass Friede werde unter uns.Da berühren sich Himmel und Erde,dass Friede werde unter uns.