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Archiv-Artikel

Streit um die antifaschistische Republik

Am 11. Mai 1945 wurde die „Freie Republik Schwarzenberg“ ausgerufen – und existierte einige Wochen. Steckten die Russen dahinter? Ab morgen streiten sich Künstler, Literaten und Bürger über die Vergangenheit des Orts

„Die Macht liegt in Schwarzenberg auf der Straße“

SCHWARZENBERG taz ■ Für genau 42 Tage hat es hier nach Ende des Zweiten Weltkriegs ein Machtvakuum gegeben. Hier am Fuße des Erzgebirgskamms, auf einer Fläche von der Größe eines Landkreises. In den Wochen nach dem 11. Mai 1945 übernahmen antifaschistische Aktionsausschüsse Macht und Verwaltung und riefen die „Freie Republik Schwarzenberg“ aus.

60 Jahre später sind die Schwarzenberger zerstritten darüber, was damals wirklich war. Auslöser war im vergangenen Jahr ein Sachbuch der Schwarzenberger Autorin Leonore Lobeck, die versuchte, die Legende eines basisdemokratischen Idylls zu zerstören. Ab morgen veranstalten die Schwarzenberger eine Veranstaltungsreihe mit dem Motto „Wir wollen wissen, was war“.

Vor allem Künstler melden sich dabei zu Wort und stellen sich in eine Reihe von Literaten, die diesen Stoff bearbeiteten. Stefan Heym zum Beispiel schrieb in seinem Roman „Schwarzenberg“ lakonisch: „Die Macht liegt auf der Straße.“ Im Jahre 2005 erinnern nicht viel mehr als eine Gedenktafel am Rathaus und ein unauffälliger Lehrpfad im Erzgebirgsstädtchen Schwarzenberg an die Legende von der „Freien Republik“. Da gibt es nur noch die Künstlerkneipe der „Kunstzone e. V.“ in der Altstadt, wo man eine Einreisebescheinigung nebst Lebensmittelkarte und Postkarten zum Thema erwerben kann.

Noch heute ist nicht geklärt, warum die Rote Armee erst so spät in die ihr nach dem Jalta-Abkommen zustehende Besatzungszone einrückte. Auch unklar ist, warum sich die vereinzelt schon vorgedrungenen Amerikaner wieder zurückzogen. Der Kunstzone-Verein vertritt die These, dass ein antisowjetisches Geheimabkommen zwischen Großadmiral Dönitz und dem US-Vertreter Dulles den 1,3 Millionen Soldaten der deutschen Heeresgruppe Mitte den ungehinderten Abzug in amerikanische Kriegsgefangenschaft ermöglichen sollte. Wer hatte nun das Sagen in der plötzlich „unbesetzten Zone“, wie es im heutigen offiziellen Sprachgebrauch heißt?

Auch über den Charakter des Schwarzenberger Aktionsausschusses gehen die Meinungen auseinander. Nach der Lesart der „Freien Republik“-Anhänger standen Entnazifizierung und Sicherung der Lebensmittelversorgung im Mittelpunkt. Immerhin soll sich auch Sachsens Gauleiter Mutschmann bei einem Freund in Schwarzenberg versteckt gehalten haben.

Leonore Lobeck schreibt in ihrem Sachbuch, dass der Sturz des Bürgermeisters Ernst Rietzsch vorwiegend auf die Begleichung alter Rechnungen zurückzuführen ist. Für Lobeck steckte hinter den Aktionsausschüssen bereits die KPD, die angesichts der bevorstehenden sowjetischen Besatzung ihre alten Ziele zum Greifen nahe sah. Die Gruppe Ulbricht-Ackermann, die erst relativ spät aus dem Moskauer Exil heimkehrte und die Machtübernahme der späteren SED vorbereiten sollte, sei auch keinesfalls so „sauer“ ob der Schwarzenberger Eigenmächtigkeiten gewesen, wie es etwa der Künstler Jörg Beier behauptet.

Lobeck entzaubert auch die letzte bis 2002 lebende Aktionsausschuss-Legende Paul Korb als späteren Stasi-Mitarbeiter. Alles sei eine „kommunistische Heldengeschichte“. Beier hält dagegen, Lobecks Geschichtsschreibung sei wiederum dem „heutigen Zeitgeist“ angepasst.

Seinem Freund, dem Schwarzenberger parteilosen Stadtrat und Eulenspiegel-Karikaturisten Ralf Fichtner ist die genaue historische Faktenlage nicht so wichtig. Wie bei Stefan Heyms literarischer Bearbeitung sei die „Freie Republik“ eher Ausdruck einer Sehnsucht nach Freiheit und Selbstverwaltung, vielleicht unterschwellig auch nach dem 1989/90 noch einmal gescheiterten „dritten Weg“. Eine unverzichtbare Utopie eben. Und vielleicht hätte eine autonome Republik Schwarzenberg angesichts der schlummernden und später von der „Wismut“ ausgebeuteten Uranvorräte sogar eine Chance gehabt. Er bedauert jedoch, dass die Bürger nun „unversöhnlich“ in zwei Lager gespalten seien.

Bis zum 21. Juni wird in Schwarzenberg noch öffentlich um die Wahrheit gerungen. Oberbürgermeisterin Heidrun Hiemer findet das gut. Einerseits zeige Frau Lobeck eine bislang verdrängte Perspektive und „sensibilisiere für eine genaue Wortwahl“. Andererseits findet sie gut, was die Künstler machten. Und am Ende, so Bürgermeisterin Hiemer, könnten alle Fakten und Fiktionen vielleicht vor allem einem gut tun: dem Tourismus für ihren Ort.

MICHAEL BARTSCH