: Fatah gibt sich neues Programm
BETHLEHEM Interner Streit zieht den Parteitag der größten Palästinenserorganisation in die Länge. Die Auszählung der Stimmen bei der Wahl zu den Gremien verzögert sich
AUS JERUSALEM SUSANNE KNAUL
Innerhalb von drei Tagen wollten die Delegierten der größten Palästinenserorganisation Fatah eine neue Führung wählen und sind nach einer Woche noch immer nicht so weit. Interne Streitigkeiten ließen die Partei ihre in Bethlehem stattfindende sechste Generalkonferenz immer wieder verlängern. Für Dienstag sind endlich die Ergebnisse der Wahl für die beiden höchsten Gremien, den Zentralrat und den Revolutionsrat, zu erwarten. Unbestrittener Parteichef bleibt Mahmud Abbas, der am Wochenende ohne Gegenkandidat auf seinem Posten bestätigt wurde.
Fast alle Redner versuchten, die Delegierten mit so altbewährten Slogans wie „Revolution bis zum Sieg“, „Lang lebe Palästina“ oder „Die Fatah wird Palästina befreien“ für sich zu gewinnen. Bereits am Sonntag entschied der Parteitag über das Programm. Er sprach sich für eine Zweistaatenlösung aus, hielt aber gleichzeitig an dem Recht der Palästinenser auf Widerstand gegen die Besetzung fest.
„Im derzeitigen Stadium konzentrieren wir uns auf den zivilen Kampf“, kommentierte Nabil Schaath, ehemals palästinensischer Außenminister und führendes Fatah-Mitglied. „Der bewaffnete Widerstand bleibt dennoch unser international garantiertes Recht.“ Die Delegierten forderten zudem die Souveränität über Jerusalem, „die umliegenden Dörfer inbegriffen“. Die Fatah werde weiter „Opfer bringen, bis Jerusalem den Palästinensern zurückgegeben wird, frei von Siedlungen und Siedlern“, heißt es in dem Grundsatzpapier.
Immer neue Differenzen und Machtgerangel verzögerten die Entscheidungen über das Parteiprogramm und die Abstimmung über eine neue Führung. Die Hamas erlaubte nur einem Bruchteil der Delegierten aus dem Gazastreifen die Reise nach Bethlehem. Die restlichen rund 400 Fatah-Aktivisten aus dem Gazastreifen mussten ihre Stimmen telefonisch abgeben. Sie waren zuvor mit der Forderung gescheitert, ihnen ein Drittel der Posten in den beiden höchsten Gremien freizuhalten. 100 Kandidaten ringen um die 18 freien Sitze im Zentralrat und 646 um einen der 120 Sitze im Revolutionsrat. Auf die Gesamtzahl der Teilnehmer umgerechnet, ist jeder dritte Delegierte Kandidat für einen der Sitze.
Unmut gab es, als der Verdacht aufkam, einige Kandidaten der „alten Garde“, der aus dem Exil zurückgekehrten PLO-Gründer, hätten sich mit eigens rekrutierten neuen Delegierten ihre Wiederwahl sicherstellen wollen. Richtig laut wurde es unter den Parteimitgliedern, als bekannt wurde, dass die Führung nicht vorhat, einen detaillierten Bericht über die finanziellen Entwicklungen der Fatah abzugeben.
Um den Zentralratsvorsitz ringen Ahmed Kurei, ehemals Premierminister und bis vor kurzem Verhandlungschef bei den Friedensgesprächen mit der israelischen Regierung, und Mohammed Dahlan. Kurei gehört zu der „alten Garde“. Dagegen stammt sein Gegenspieler aus dem Kreis der jungen Palästinenser, die während der Intifada den Kampf gegen die Besetzung ausfochten, ebenso wie Marwan Barghuti, Chef der Fatah im Westjordanland. Barghuti sitzt wegen Beteiligung an mehreren Terroroperationen in israelischer Haft.
Dahlan, ehemals Chef des Präventiven Sicherheitsdiensts im Gazastreifen, hatte während der Kämpfe zwischen Fatah und Hamas im Sommer 2007, die mit der Machtübernahme der Hamas endeten, deutlich an Sympathie eingebüßt. Er war schon vor Beginn der Konflikte ausgereist und ließ seine Truppen ohne Kommandanten zurück. Dahlan und Kurei gelten als potenzielle Kandidaten für die Nachfolge von Abbas im Amt des Palästinenserpräsidenten.
Seltene Einigkeit erfasste die rund 2.200 Delegierten, die zum Teil aus Tunis, aus dem Libanon, Syrien, Ägypten und Saudi-Arabien angereist waren, in der Frage, wer schuld sei an Arafats Tod, der laut Parteitag ausschließlich auf Israels Konto geht.
Im November jährt sich der Todestag des legendären PLO- und Fatah-Chefs zum fünften Mal. Arafat war aus bis heute ungeklärter Ursache gestorben. Die Ärzte – zunächst in Jordanien und später in Paris, wo er seine letzten Tage verbrachte – hielten die Krankheitsakte vor der Öffentlichkeit strikt verborgen.
Meinung + Diskussion SEITE 12