: Fukushima und retour
ATOMKATASTROPHE Susan Boos dokumentiert die Hilflosigkeit der Betroffenen in Japan und vergleicht dies mit Plänen für Atomunfälle an der deutschen Grenze
Als es dann passierte, gab es keinen Notfallplan, die Bevölkerung wurde nicht vor der Strahlung geschützt, es gab keine richtigen Evakuierungspläne, keinen Plan für die Dekontaminierung. Neun Monate nach dem Unfall haben sie keine Ahnung, wie man mit den geschmolzenen Reaktoren umgehen soll.“ Dies sagt der evakuierte Bauer Katuyoshi Sato, der seinen Hof samt Kühen in der 20-Kilometer Zone um das havarierte Atomkraftwerk Fukushima Daiichi zurücklassen musste der Journalistin Susan Boos. Die auf Atom- und Energiepolitik spezialisierte Redakteurin der Schweizer Wochenzeitung (WoZ) hat vor Jahren schon ein Buch über die Folgen des GAUs in Tschernobyl geschrieben. Ihre dortigen Erfahrungen lässt sie jetzt in „Fukushima lässt grüßen. Die Folgen des Super-GAUs“ in die Schilderung ihrer Recherchen in Japan einfließen.
Nationale Notfallpläne
Zugleich versucht Boos nachzuvollziehen, wie sich eine Nuklearkatastrophe im schweizerisch-deutschen Grenzgebiet auswirken könnte. Das erscheint dort auf den ersten Blick durch entsprechende nationale Notfallpläne „geregelt“. Doch diese gehen meist von einzelnen Szenarien aus und nicht – wie in Fukushima – von deren fataler Kombination. So gaukeln sie vor allem Sicherheit vor. Denn bei näherem Hinsehen entpuppt sich eine Atomkatastrophe als nicht planbar, sondern als Horrorszenario.
Boos beschreibt nüchtern, was ihr Betroffene in Japan berichten. Dabei wird immer wieder die große Hilflosigkeit und Überforderung der Behördenvertreter deutlich. Aber auch die inzwischen bereute Sorg- und Ahnungslosigkeit der Betroffenen, die den Beteuerungen und Lügen der Betreiber und atomfreundlichen Regierungen nur allzu blauäugig geglaubt haben.
Boos beobachtet und stellt die richtigen Fragen („Wo würden hierzulande Liquidatoren rekrutiert?“). Dabei vermitteln ihre Perspektivwechsel zwischen Fukushima, Tschernobyl und Schweizer Notfallplänen Zugänge zur Atomproblematik, wie sie bisher keines der über die Fukushima-Katastrophe erschienenen deutschsprachigen Bücher vermittelte. Durch die Vergleiche wird sehr anschaulich, wie die Grenzwerte für radioaktive Strahlenbelastung nicht einer vermeintlich objektiven Wissenschaft entstammen, sondern von finanziellen Interessen der Betreiber und politischem Kalkül der Regierungen abhängig sind. Wie die Grenzwerte schnell mal angepasst werden und was das bedeutet, verdeutlicht Boos durch einfache Rechenbeispiele.
Auch zeigt sie die Psychologie hinter der fragwürdigen Dekontaminierung verstrahlter Gebäude, Gärten und Kinderspielplätze. „Die radioaktiven Partikel werden zwar lediglich verschoben, vom Parkplatz in die Kanalisation, vom Garten in den Plastikbeutel. Aber man kann etwas tun, und nachher sieht es sauber aus.“ Japans Öffentlichkeit wird schon heute wieder eine vermeintliche Sicherheit vorgegaukelt. So spricht Tepco seit Dezember von einer erfolgreichen „Kaltabschaltung“ der drei von Kernschmelze betroffenen Reaktoren. Doch dieser Fachbegriff schließt ein intaktes Kühlsystem samt geschlossenem Kühlkreislauf ein, wovon in Fukushima Daiichi nicht die Rede sein kann.
Boos macht nicht nur die Auswirkungen auf die Betroffenen in Japan anschaulich, sondern belegt auch, dass sich Gesamtproblematik und Verhaltensmuster der Verantwortlichen trotz mancher Differenzen nicht grundsätzlich unterscheiden. Gerade deshalb bietet Fukushima anschauliche Lektionen, deren Vermittlung das Buch lesenswert machen. SVEN HANSEN
■ Susan Boos: „Fukushima lässt grüßen. Die Folgen eines Super-GAUs“, Rotpunktverlag, Zürich 2012, 272 Seiten, 19,80 Euro