Die Investoren gehen um

VON STEPHAN KOSCH
UND KLAUS-PETER KLINGELSCHMITT

1. Was ist da bei der Deutschen Börse AG passiert?

Die bisherigen Chefs haben einen Machtkampf verloren. Vorstandsvorsitzender Werner Seifert ist zurückgetreten. Der Aufsichtsratsvorsitzende Rolf-Ernst Breuer, früher Vorstandschef der Deutschen Bank und derzeit ihr Aufsichtsratsvorsitzender, wird ihm zum Jahresende folgen. Die beiden Manager beugen sich damit dem Druck britischer und US-amerikanischer Fonds, die rund 40 Prozent an dem Unternehmen halten sollen. Sie hatten bereits die von Seifert und Breuer angestrebte Übernahme der Londoner Börse verhindert. Vor allem der britische Hedgefonds TCI (siehe rechts) hat die Börsenchefs dafür kritisiert und eine Allianz zur Absetzung Breuers auf der Hauptversammlung am 25. Mai geschmiedet.

2. Wem nützen die Rücktritte?

Zunächst einmal den Fonds selber. Sie hatten bereits erreicht, dass 1,5 Milliarden Euro, die für die Übernahme der Londoner Börse eingeplant waren, an die Aktionäre ausgeschüttet werden sollen. Dieser renditeorientierte Kurs kann mit neuem Personal konsequenter fortgeführt werden. Und bei der Neubesetzung der Chefposten werden die Aktionäre aus Großbritannien und den USA ein gewichtiges Wort mitreden. Ein Profiteur könnte übrigens auch Friedrich Merz (CDU) sein. Der frühere Vorsitzende der Unionsbundestagsfraktion ist nämlich Partner der Anwaltssozietät Mayer, Brown, Rowe & Maw LLP, die TCI zu ihren Mandanten zählt. Der Fonds hat Merz gestern erneut als möglichen neuen Aufsichtsratschef ins Spiel gebracht.

3. Warum sorgt das Ganze für große Aufregung?

Weil es das erste Mal ist, dass ausländische Investoren die Chefs eines deutschen Börsenschwergewichts entmachten. Und weil die Deutsche Börse das Zentrum des Finanzplatzes Deutschland bildet. Seifert und Breuer stehen zudem für die alte Deutschland AG, in der Konzerne und Finanzwirtschaft durch gegenseitige Aufsichtsratsmandate eng verflochten waren. Deshalb sehen einige den Vorgang bei der Börse als Beginn einer Zeitenwende. Und als weitere Rechtfertigung für die von SPD-Chef Müntefering losgetretene Kritik an ausländischen Investoren und Hedgefonds in Deutschland. „Dass diese Investoren offenkundig eine solche Macht entfalten, bestätigt die Befürchtungen“, sagt SPD-Fraktionsvize Poß dazu.

4. Ist die Aufregung berechtigt?

Sie ist fragwürdig. Zwar hat sich TCI in bislang unüblicher Deutlichkeit öffentlich gegen ein amtierendes Management gestellt. Doch es ist das gute Recht von Aktionären, die Unternehmensführung zu kritisieren. Die Kritischen Aktionäre halten das seit langem so, haben allerdings nicht die wirtschaftliche Macht, etwas zu bewegen. Die Fonds hingegen haben ihre Möglichkeiten bei der Börse genutzt. Und dass sich britische und amerikanische Investoren in den letzten Jahren generell verstärkt für deutsche Unternehmen interessieren, haben SPD und Grüne mit zu verantworten. Denn ein Ziel der großen Steuerreform von Rot-Grün war die Entflechtung der Deutschland AG. Seit 2002 müssen Kapitalgesellschaften keine Steuern mehr auf Gewinne zahlen, die sie aus dem Verkauf von Beteiligungen an deutschen Unternehmen erzielen. Das soll Konzerne motivieren, Bereiche, die nicht zu ihrem Kerngeschäft gehören, auf den Markt zu bringen. Aktiengesellschaften konnten so leichter abspecken und zugleich Geld in die Kassen bekommen, damit sie fit werden für die globalisierte Wirtschaft.

5. Wie geht es weiter mit der Deutschen Börse AG?

Besser: Wie geht es weiter mit der Börse in Deutschland respektive in Frankfurt am Main? Dass nun die Zerschlagung durch die „angelsächsischen Großaktionäre“ drohe, ist reine Panikmache. Ausländische Fonds haben sich in die Deutsche Börse AG schließlich nur aus einem Grund eingekauft: um Geld zu verdienen. Und die Frankfurter Börse erwirtschaftet gutes Geld für ihre Anteilseigner; ihre umfassende Handelsstruktur verspricht eine Fortsetzung dieser Erfolgsstory. Eine nationale Börse aber ist Frankfurt längst nicht mehr; die Internationalisierung wird – wie die Struktur der Aktionäre – weiter voranschreiten. Eine von einigen Anteilseignern avisierte Fusion mit der europäischen Börse Euronext in Brüssel – mit dann marktbeherrschender Stellung auf dem Kontinent – machte Sinn, wird aber wohl von den EU-Wettbewerbshütern kritisch hinterfragt werden. Auch eine Fusion mit der Börse in London (LSE) ist nicht nur wegen der vielen Briten unter den Großaktionären sicher bald wieder Thema.

6. Übernehmen die US-Fonds nun in Deutschland das Ruder?

Kapital ist international. Geld wird dort angelegt, wo es den meisten Profit verspricht. Die Fonds in den Staaten schwimmen im Geld, und Deutschland scheint ein Paradies für Geldanlagen zu sein. Allerdings: Im großen Stil einkaufen in die Deutsche Börse AG konnten sich US-amerikanische und britische Fonds, weil deutsche Unternehmen – vor allem die Banken – ihre Anteile an der Börse AG nicht hielten, sondern nach Kursexplosionen lieber versilberten. Womöglich denken die „Angelsachsen“ langfristiger. Dass an „deutschen“ Unternehmen ausländische Unternehmen oder Fonds auch mehrheitlich beteiligt sind – oder sie komplett übernommen haben –, ist heute so normal wie die Mehrheitsbeteiligung deutscher Unternehmen an ausländischen. Das ist gelebte Globalisierung. Mein Freund ist Ausländer; auch „Ami“. Vor allem, wenn er ein marodes Unternehmen übernimmt, es saniert und damit Geld verdient. Das nützt allen. In die Insolvenz gehen schließlich meist rein deutsche Unternehmen.

7. Was bedeutet das für deutsche Anleger?

Nichts. Denn auch deutsche Anleger – wenn sie sich den sortenreinen Altruismus mit einer Anlage etwa bei der Umweltbank oder dem Einkauf in einen Windparkfonds nicht leisten können oder wollen – wollen Kohle machen. Großanleger sowieso. Die Fonds in den Staaten oder Großbritannien platzen nicht zuletzt deshalb aus allen Nähten, weil ihnen von überall her Geld zufließt – wer es sich in Deutschland leisten kann, kauft sich (auch) im Ausland ein. Dass die Aktienkurse vieler deutscher Unternehmen vor sich hin dümpeln, hängt mit den meist höheren Renditeversprechen anderswo zusammen. Dass die laufenden Bonitätsprüfungen – siehe GM und Ford – aber auch gelobte Standorte in Verruf bringen können, heißt dann schon wieder auch etwas für deutsche Anleger: Risiken lauern überall.

8. Gefährdet das langfristig Arbeitsplätze in Deutschland?

Unternehmen, die Gewinn „abwerfen“, werden am internationalen Markt überleben. Wer nur Verluste produziert, wird – wenn eine Sanierung zu riskant erscheint – vom Markt verschwinden. Die Deutsche Börse AG ist ein erstklassig aufgestelltes Unternehmen. Die veränderten Mehrheitsverhältnisse bei den Anteilseignern, die sich bald auch im Aufsichtsrat widerspiegeln werden, gefährden sicher keinen der knapp 1.500 Arbeitsplätze dort. Den Arbeitnehmern in Deutschland ganz allgemein könnte es deshalb egal sein, wer ihr Unternehmen führt und wo das Geld für die nötigen Investitionen herkommt. Hauptsache, das Management spurt, der Lohn stimmt und der Arbeitsplatz ist sicher. Die Politik hat dabei nur eines sicherzustellen: die Gültigkeit der deutschen Rechtsnorm. Unternehmen auch in der Hand etwa US-amerikanischer Aktionäre bleiben schließlich Unternehmen in Deutschland.