piwik no script img

Archiv-Artikel

Panzer und Pferde vereint

In der ostwestfälischen Region Senne-Egge soll der zweite nordrhein-westfälische Nationalpark entstehen. Doch die lippischen Mustangs müssen sich ihr Revier vorerst mit britischen Panzern teilen

VON RITA MARTENS

Der Gegensatz könnte kaum größer sein: Im östwestfälischen Senne-Gebiet grasen lippische Mustangs unweit britischer Panzer auf dem Truppenübungsplatz Senne. Und in diesen Tagen läuft nun eine Moderationsphase an, in der bis 2006 die Interessen der betroffenen Gemeinden, Verbände und lokale Organisationen angehört werden und geklärt wird, ob Natur und militärische Nutzung zu vereinbaren sind: Aus dem Militärgelände soll ein Nationalpark werden.

Das gesamte Senne-Egge-Gebiet von insgesamt 22.000 Hektar mit der unbewaldeten Heidelandschaft und den Wäldern samt Truppenübungsplatz wollen die Grünen mit Unterstützung der Naturschutzverbände unter Naturschutz stellen. Aus dem Naturschutzgebiet soll dann neben dem Eifel-Nationalpark ein zweiter Nationalpark in NRW entstehen. Nach einem Landtagsbeschluss von 1991 sollte die Einrichtung des Nationalparks Senne erst nach Abzug der dort residierenden Britischen Rheinarmee beginnen. Doch das wäre erst in 15 Jahren. Nun soll das Senne-Eggegebirge schon viel früher unter Schutz gestellt werden – und zwar bei einer gleichzeitigen militärischen Nutzung in Teilen des Parks. Der Tourismus soll sich an den durch den Militärbetrieb vorgegebenen Möglichkeiten orientieren. Durch das Armeegelände soll es dann nur geführte Exkursionen geben, so der Plan.

Der Entschluss für solch einen Nationalpark wurde bereits im April getroffen. „Der ohne Gegenstimmen verabschiedete Antrag ‚Nationalpark Senne voranbringen‘ von SPD und Grünen stärkt den Prozess vor Ort, gemeinsam mit dem Militär, der Bevölkerung und den Behörden den Weg für einen Nationalpark Senne zu ebnen“, erklärt Josef Tumbrinck, der Vorsitzende des Naturschutzbundes (NABU) NRW. Er hofft, dass nach Klärung sämtlicher Fragen, der Nationalpark am 1.1.2007 eröffnet werden kann. Auch im Umweltministerium rechnet man nicht mit einem baldigen Ende der Verhandlungen. Dort geht man davon aus, dass der Diskussionsprozess zwischen Kommunen, Bund und britischem Militär noch rund eineinhalb Jahre dauern wird.

Die Senne ist ein Gebiet am westlichen Rand des Teutoburger Waldes zwischen Bielefeld, Detmold, Paderborn und Gütersloh. In dem vielfältigen Lebensraum konnten zahlreiche an ein nährstoffarmes Milieu angepasste Arten überleben – wie die Küchenschelle, Arnika, Mondraute oder der Einfache Rautenfarn, den es in ganz Deutschland nur hier gibt. 60 Prozent der Sennefläche bestehen aus Buchenwäldern und im Übergang zum Teutoburger Wald auch aus ausgedehnten Buchen-Eichenwäldern. Neben den Schafherden gehören auch klare Bäche, Moore Heide- und Sandtrockenrasen zur Landschaft. Die unbesiedelte Fläche umfasst rund 11.000 Hektar, die bereits seit 1890 als Truppenübungsplatz genutzt wird.

Bislang ist jedoch unklar, ob die militärische Nutzung der Senne mit dem Status Nationalpark zu vereinbaren wäre. In England gibt es diese Art der Doppelnutzung zwar bereits in einigen Nationalparks. Dort wird aber nur ein Fünftel der Fläche militärisch genutzt, während es in der Senne noch 90 Prozent sind. Das deutsche Naturschutzgesetz besagt jedoch, dass 50 Prozent eines Nationalparks völlig ohne menschliche Eingriffe bleiben müssen. Um diesen Widerspruch aufzulösen, rechnet Umweltministerin Bärbel Höhn (Grüne) die Egge-Wälder in den geplanten Nationalpark hinein.

Doch die Bevölkerung der Region steht nicht uneingeschränkt hinter den grünen Plänen. Die Gemeinden der Egge-Dörfer sind viel mehr vom Nationalpark überzeugt, als in der Senne. Die Egge-Kurorte erhoffen sich durch den Park ein Wiederbeleben durch einen Nationalparktourismus. Tumbrinck verweist auf den touristischen Erfolg des Nationalparks Eifel: „Der verbuchte bereits im ersten Jahr 15 Prozent Zuwachs bei den Übernachtungen.“ Die Region Paderborn befürchtet allerdings, dass die wirtschaftliche Entwicklung unter dem Abzug der Truppen zu leiden hätte und wünscht sich ein Gewerbegebiet und Industrieansiedlungen.

Auch die holzbe- und verarbeitende Industrie steht dem geplanten Nationalpark skeptisch gegenüber. Sie befürchtet wirtschaftliche Einbußen, wenn in etwa 30 Jahren rund 10.000 Hektar Waldflächen endgültig aus der forstlichen Nutzung ausscheiden sollten. Umweltministerin Höhn versucht, die bedenken zu entkräften: „Nach Auswertung aller vorhandener Zahlen lässt sich sagen, dass die bisherigen Holzkäufer durchschnittlich weniger als 1,5 Prozent ihres Gesamtbedarfs aus dem Gebiet der Egge bekommen“. Diese Menge ließe sich anderweitig in der Region decken.

Doch vorerst behalten ohnehin die Briten das Sagen. Sorgen bereitet ihnen, dass Besuchermassen in Zukunft durch ihr Militärgelände wandern könnten. Auf dem 11.000 Hektar großen Übungsgelände trainieren heute noch bis zu 5.000 Soldaten für den Ernstfall. Allerdings gibt es seit 2002 in Sennelager auch ein Trainingszentrum, in dem computersimulierte Gefechte durchgeführt werden können, ohne den Übungsplatz nutzen zu müssen. Ein Kompromiss zwischen militärischen Interessen und Naturschutz scheint also möglich – etwa indem das Militär weiterhin ein Vorrecht behält, das Gelände bei Bedarf militärisch zu nutzen.

Tumbrinck ist sich jedenfalls sicher, dass der „erste westfälische Nationalpark in greifbare Nähe gerückt ist.“