: Aloe heilt selbst Bremerhaven
An das wertvolle Gel der Wüstenlilie zu kommen ist schwer – und oft verunreinigt ihr giftiges Harz das begehrte Wundermittel. Die erste Aloe-Vera-Schälmaschine der Welt schafft Abhilfe
aus BremerhavenJonas Zahl
Da steht sie nun, stolz in die Mitte gerückt, in einer unscheinbaren Halle mitten im Fischereihafen. Sieben Meter ist sie lang und eine Sensation nicht nur in dem von Arbeitslosigkeit gezeichneten Bremerhaven: Die erste vollautomatische Aloe-Vera-Schälmaschine. Ein Exportschlager für den Weltmarkt.
Aloe Vera Barbadensis Miller, so heißt das Zauberwort in allen Drogerien und Supermärkten, auf Joghurts und Cremes, Fitnessdrinks und Geschirrspülmitteln. Die Vitamine C, D und E sind in dem gelartigen Innenleben der Wüstenlilie drin, außerdem Beta-Carotin, allerlei Enzyme und mehr als 20 Mineralien. Insgesamt 400 Wirkstoffe haben Experten gezählt. Die Haut sollen sie pflegen, die Wunden heilen, die Immunabwehr stärken, den Darm anregen und dem Krebs vorbeugen. Bislang ist allerdings nicht erforscht, wo das Gel der Aloe Vera gut tut und wann es dem Organismus schadet. Es gibt „keine Belege“ für die „behaupteten“ Heilwirkungen bei Diabetes oder Krebs, sagt Regina Aschmann von der Verbraucherzentrale Bremen.
Benutzt wird die Heilpflanze gleichwohl schon seit tausenden von Jahren. Das Aloe Vera aber nicht nur ein Wundermittel ist, musste schon Kaiser Otto der Zweite im 10. Jahrhundert erfahren, als er, mit sechzehn Gramm Aloe vergiftet, an heftigen Darmblutungen starb. Die hatte das Aloin ausgelöst, der bittere gelbe Saft aus der Außenhaut der Pflanze.
Malte Bethke, Projektleiter beim Technologie-Transfer-Zentrum (ttz) in Bremerhaven ist jedenfalls begeistert. Der Weltmarkt für die Aloe-Vera-Schälmaschine sei „riesig groß“ schwärmt Bethke. Den Erfindern bleibt allerdings nur Ruhm und Ehre: Rechte an ihrer Maschine haben sie keine, an deren Vermarktung sind sie nicht beteiligt. „Wir sind Forscher“, so Bethke lapidar. „Wir leben ausschließlich von Forschungsgeldern.“
80 Prozent des Weltmarktes für Aloe Vera wird derzeit aus Mexiko, der Dominikanischen Republik und China beliefert. Dort kommt man bislang ohne ausgeklügelte Aloe-Vera-Schälmaschinen aus: Die länglichen Blätter werden schlicht wie Obst mit der Hand geschält.
Dank der neuen Maschine soll das kaktusartige Wüstengewächs jetzt auch im kalten Europa heimisch werden. „Mit der Entwicklung verbindet sich die Hoffnung, die Produktion von Aloe Vera in Europa erheblich steigern zu können“, begründet Bethke sein Forscherinteresse. Die Idee zu diesem Projekt kam aus der Industrie: Auftraggeber Santa Verde aus Hamburg betreibt Plantagen in Spanien, doch auch Frankreich, Portugal oder Griechenland kämen als Anbauländer in Frage – „normalerweise jedenfalls“, behauptet Bethke, denn Aloe Vera kann keinen Frost ab. Doch nördlich des Mittelmeeres sind die Plusgrade im Winter alles andere als sicher – Klimaerwärmung hin, Treibhauseffekt her.
Anlagenbauer Alphatec sieht die Zukunft seiner Maschine dennoch optimistisch: Kaufinteressenten „aus aller Welt“ hätten bereits angerufen, verkündet der Geschäftsführer, Ulrich Härtlein, stolz. Insgesamt waren es drei Länder: Malaysia, Thailand und Frankreich. Mehr als 1.000 Maschinen könnten sicherlich abgesetzt werden, da ist sich Bethke sicher – Stückpreis: 65.000 Euro. Zwei Jahre hat das Forscherteam getüftelt, 700.000 Euro kostete das Projekt, das zur Hälfte mit Fördergeldern finanziert wurde. Alpahatec war nach eigenen Angaben mit 40.000 Euro dabei, der Auftrageber Santa Verde, ein Handelshaus aus Hamburg, stiftete zehn Monate unbezahlte Arbeitszeit.
Sechs bis acht Arbeitskräfte soll die fertige Maschine ersetzen, wenn sie erst einmal Marktreife erlangt hat. Doch das reiche bei weitem nicht, um gegen die billige Handarbeit aus Lateinamerika oder dem Fernen Osten zu bestehen, weiß Härtlein: „Das können sie vergessen.“
Einzige Chance: Die Qualität. Wird die Pflanze wie bislang mit der Hand geschält oder einfach maschinell zerquetscht, bleibt, völlig unkontrolliert, der Bitterstoff Aloin zurück – und niemand weiß, wie viel. Um ihn unschädlich zu machen, wird gefiltert oder mit Chemikalien nachgeholfen. Deren Rückstände muss der naturbewusste Konsument dann ebenfalls zu sich nehmen oder auf die Haut auftragen. Was bleibt, ist die Gefahr von Allergien.
Nun soll ausgerechnet die Maschine dem Naturstoff zur Reinheit verhelfen. Ratternd setzt sie sich in Bewegung, das längliche, vier Euro teure Blatt fällt aufs Fließband. Mechanisch von Enden und Seiten befreit rollt es weiter ins Herz der Maschine. Ein kurzer Walzendruck und zwei Schälmesser schneiden vorsichtig die obere und untere Haut ab. Übrig bleibt eine glibberige, durchsichtige Masse, die nun unter eine Videokamera in die Qualitätskontrolle muss. Sind noch braune Bitterstoffe zu sehen, wird aussortiert.